Eine große Familie
Matthias Rucker hat im Jahr 2005 das karriere-Stipendium für ein Vollzeit-MBA-Studium an der Rotterdam School of Management, einer der Top-Business-Schools in Europa, gewonnen. Knapp zwei Jahre später zieht der 26-jährige Wirtschaftsinformatiker Bilanz und blickt zurück auf die spannendste Zeit seines Lebens.
Montagmorgen, 10. Oktober 2005, zwanzig nach neun. Langsam und zögernd betrete ich den großen Prüfungssaal der Erasmus Universität in Rotterdam. In meinen Händen halte ich einen Kugelschreiber, einen Taschenrechner und, einer alten Rucker-Tradition aus Studienzeiten folgend, zwei Dosen Red Bull. Eine nette ältere Dame weist mich zu meinem Platz im hinteren Teil des Raums. Während ich mit klopfendem Herzen den Saal durchquere, blicke ich in viele erwartungsvolle, aber auch angespannte Gesichter. Wenigstens bin ich nicht allein, denke ich und setze mich auf den unbequemen Holzstuhl. Nicht zum letzten Mal stelle ich mir die Frage: „Warum mache ich das eigentlich alles mit?“, und öffne die erste Dose Red Bull. Nun ist es also so weit, mein erstes Examen nach nur sieben Tagen im Studium. Ich hätte jetzt eigentlich auch im Urlaub sein können ..
Eine Woche zuvor habe ich mein MBA- Studium an der Rotterdam School of Management (RSM) begonnen. Zu Anfang stand erst mal eine Auffrischungswoche Mathe und Statistik auf dem Programm, natürlich mit Prüfungen am Ende. Ganz schön komisch, nach zwei Jahren als Projektleiter beim IT-Dienstleister Datev wieder auf einer Schulbank zu sitzen.
Das Lernen war aber längst nicht alles: Denn RSM wäre nicht RSM, wenn nicht schon in der ersten Woche jeden Abend eine Feier zum gegenseitigen Kennenlernen angestanden hätte. Das ging los mit einem Pub Crawl durch Rotterdam, gefolgt von einer Hafenrundfahrt und gipfelte in einem „International Food Festival“, zu dem jeder ein typisches Gericht aus seiner Heimat beisteuern musste. Insgesamt also genug Ausreden für eine nur recht kurze Klausurvorbereitung.
Pauken und Networken
Die erste Woche gab mir einen guten Vorgeschmack auf den weiteren Studienverlauf. Das erste Semester gilt als das härteste, und so habe auch ich es empfunden. In jedem meiner fünf Kurse wurden zwei Klausuren geschrieben, dazu kamen diverse Haus- oder Gruppenarbeiten. Anspruch und Arbeitsaufwand waren sehr hoch, und man hätte sich sehr leicht in endlosen Vor- und Nachbereitungen verlieren können. Doch ein MBA wäre kein MBA, wenn man nur im stillen Kämmerlein lernen würde. Den wahren Wert des Programms macht die Teamarbeit aus. Zu Beginn jedes Semesters werden feste Teams mit jeweils fünf Leuten eingeteilt. Dabei wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass Studenten mit möglichst vielen unterschiedlichen kulturellen, akademischen und professionellen Hintergründen zusammenarbeiten. Ich war zum Beispiel in einem Team mit einem Manager aus Russland, einem Softwareentwickler aus Indien, einer Supply-Chain-Spezialistin aus Taiwan und einem Telekommunikationsexperten aus Spanien. Wenn eine so internationale und interdisziplinäre Gruppe über eine Fallstudie diskutiert, bringt dies fast zwangsläufig neue Erkenntnisse.
Doch egal was anstand: Nie hat der Spaß gefehlt. Denn gute Netzwerke basieren vor allem auch auf guten sozialen Kontakten, und genau die machen die RSM aus. In Rotterdam findet man nicht den typischen MBA-Studenten, der sich auf die Frage nach seinem Namen erst mal mit einem 30-sekündigen Sales Pitch selbst vermarktet. Die Atmosphäre ist viel lockerer und unverkrampfter als an anderen Schulen, die ich mir angeschaut hatte. Die RSM ist mit 100 Studenten relativ klein und dennoch sind an die 40 verschiedene Nationen vertreten. Das Umfeld ist sehr tolerant und nicht so wettbewerbsorientiert wie in anderen Schulen. Das Gruppengefühl ist sehr stark, nicht zuletzt deshalb, weil fast alle Studenten zusammen in einem Haus wohnen.
Dass gerade unser Jahrgang ein Spitzenteam war, ist auch anderen aufgefallen. So haben wir bei den MBA Olympics in Paris, dem sportlichen Höhepunkt eines jeden MBA-Lebens, unsere „core competence“ – das Feiern – voll ausgespielt. Jeder der anwesenden MBAler wird wohl bestätigen können, überall nur Orange, die Nationalfarbe der Niederländer, gesehen zu haben.
Thanksgiving in New York
Als ich im letzten Semester auf Austausch an die Wharton Business School in Pennsylvania ging, waren meine Gefühle sehr gemischt. Auch wenn dies eine tolle Erfahrung war, vermisste ich doch das ultimative Gruppenerlebnis in Rotterdam. Und genau hier zeigte sich wieder, was für eine tolle Gemeinschaft wir waren. Während meines Austauschs erhielt ich ein Paket aus Rotterdam mit kleinen Geschenken und Grußkarten von allen Mitstudenten. Zudem haben sich alle RSM- Studenten, die gerade in Nordamerika waren, zu Thanksgiving in New York getroffen.
Somit kann ich nun auch die zu Beginn gestellte Frage „Warum mache ich das eigentlich alles mit?“ beantworten. Es war die bisher spannendste und ereignisreichste Zeit in meinem Leben. Nicht allein wegen der akademischen Inhalte, sondern vielmehr wegen den 100 tollen Menschen, die mich während dieses Studiums begleitet haben und mit denen ich sicherlich auch in Zukunft noch viele schöne gemeinsame Momente erleben werde.
Ach ja, vor lauter Schwärmen hätte ich fast vergessen, dass mich der MBA auch in meiner Karriere weitergebracht hat. Meine neue Stelle als Unternehmensberater für A.T. Kearney in Amsterdam habe ich über Kontakte, die ich während des MBA-Studiums geknüpft habe, gefunden.