Aufstiegschancen: Bildung wird immer mehr Privatsache
Meine Kita, meine Schule, meine Uni: Nie zuvor waren private Bildungseinrichtungen in Deutschland beliebter. Die neuen Angebote modernisieren das starre System. Zu welchem Preis?
Dass ihre Familie nach dem Handel mit Schrauben auch mal einen Teil der deutschen Bildungslandschaft revolutionieren würde, hätte Bettina Würth nicht vermutet. Aber so ist das in Zeiten, in denen viele Eltern die Hoffnung in den Staat als Betreiber von Kindergärten, Schulen und Universitäten verloren haben. Auch die Tochter des Schrauben-Königs Reinhold Würth war unzufrieden mit den Schulen. Also hat sie selbst zwei gegründet, in Berlin und im heimischen Künzelsau.
Die Motive der Schulgründer
Was nach außen Schule heißt, hat nach innen wenig mit den traditionellen Einrichtungen gemein: Schüler heißen hier Lernpartner, Lehrer sind Lernbegleiter. Und es gibt keinen Stundenplan, dafür viele Projekte oder einen „Club der Forscher“. Der Würth-Konzern lässt sich das fünf Millionen Euro im Jahr kosten. „Viele Unternehmen haben Sorgen, dass unser Schulsystem nicht ausreichend leistungsfähige Schüler hervorbringt“, sagt Helmut Jahn, Vorstand der zuständigen Würth-Stiftung. „Man möchte kein Kind verloren gehen lassen.“
Das möchte auch Katharina Drewes nicht. Die erste Voraussetzung dafür ist, findet die Lehrerin, dass ein Ort überhaupt eine Schule hat. Und weil das Land Mecklenburg-Vorpommern fand, Bröbberow brauche keine Grundschule, hat Drewes dort eine gegründet. Anfang 30 und mit vielen pädagogischen Idealen im Kopf, hatte sie dem Lernen an staatlichen Schulen wenig abgewonnen. Zig Preise hat sie mittlerweile gewonnen; etwa für das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern oder das Konzept des erlebnisorientierten Lernens in der Natur.
„Wir brauchen eine Bildungswende“
Das klingt ähnlich wie die Geschichte von Margret Rasfeld. Sie nennt sich Bildungsinnovatorin und hat schon als Leiterin einer staatlichen Gesamtschule in Essen angefangen, Schule anders zu gestalten. Später hat sie die evangelische Schule im Zentrum Berlins aufgebaut, die sie bis heute leitet. Dort gibt es keinen 45-Minuten-Takt, dafür Fächer wie Verantwortung oder Herausforderung und Projektarbeit. Und jeden Freitag kommt die ganze Schule in der Vollversammlung zusammen, um öffentlich jene zu loben, die in der Woche etwas gut gemacht haben. „Wir brauchen eine Bildungswende in Deutschland“, ist sie überzeugt. Und so versucht Rasfeld mit ein paar Mitstreitern gerade, Schulen in Deutschland zum Aufbruch zu bewegen.
Es tut sich etwas in der „Bildungsrepublik Deutschland„, die Kanzlerin Angela Merkel 2008 ausgerufen hat: Unternehmer, die Schulen und Kindergärten betreiben; vom Staatsdienst frustrierte Lehrer, die ihre eigenen Schulen gründen; Eltern, die sich zusammenschließen; Industriellen-Stiftungen, die Hochschulen finanzieren. Das deutsche Bildungssystem, seit Humboldts Zeiten fest in der Hand des Staates, wird durch privates Engagement aufgefrischt.
Innovation durch private Konkurrenz
Natürlich geht noch immer die überwiegende Mehrheit auf staatliche Schulen und Hochschulen; und niemand fordert ein zweigeteiltes System aus Staatseinrichtungen und Elite-Privatschulen wie in den USA und Großbritannien. Und doch: Besuchten im Jahr 2008 knapp 21 000 Kinder eine private Kindertagesstätte (Kita), sind es heute schon 55 000. Gingen im Jahr 2000 erst 560 000 Schüler auf eine Privatschule, sind es jetzt fast 800 000. Und bei den Hochschulen stieg die Zahl von nicht einmal 25 000 auf fast 170 000. Investierten die Deutschen im Jahr 2008 noch 12,7 Milliarden Euro in Bildung, so waren es im vorigen Jahr 15 Milliarden.
Viele Eltern sind bei der Ausbildung ihres Nachwuchses immer ehrgeiziger. Staatliche Einrichtungen werden diesen Wünschen schon finanziell kaum gerecht: Deutschlands Ausgaben für Bildung dümpeln bei 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – ein lachhafter Platz 27 im Vergleich der OECD.
Einerseits gelingt es der Republik immer weniger, die Schwächeren im Bildungssystem zu integrieren. Andererseits suchen sich die Stärkeren und Reicheren ihre eigenen Konzepte. Gäbe es in Sachen Bildung nur den Staat – aus der Nation der Dichter und Denker würde eine Republik der Sparer und Bestandsverwalter. Bestenfalls.
Für den Philosophen Richard David Precht ist das ein Grundversagen der Politik. Er spricht davon, dass in den privaten Schulen in Deutschland mehr passiere als im öffentlichen Bildungssystem und konstatiert: „Wir befinden uns in Sachen Bildung am Vorabend eines totalen Umbruchs.“ Die Frage ist: Kommt so frischer Wind in ein angestaubtes System? Oder teilt sich Deutschland am Ende doch in ein Zweiklassenbildungssystem?
Entdecken, erforschen, erlernen
Beispiel Kindertagesstätte: Wenn sich morgens die Türen der Kita an der privaten Jurahochschule Bucerius Law School in Hamburg öffnen, dann beginnt für die kleinen Besucher in der Regel ein angenehmer Tag. In ihrem eigenen kleinen Bad erwartet sie ein Erlebnisbecken, ihr Essen stammt von ökologisch arbeitenden Bauernhöfen; die Zeit lässt sich wahlweise drinnen in einer eigenen Forscher- und Lernwerkstatt, dem Atelier oder draußen in der Matschkuhle und dem Spielhäuschen verbringen. Das kleine Paradies räumen müssen die Jüngsten erst wieder um 18 Uhr, wenn Mama und Papa das wollen.
Entdecken, erforschen, erlernen – mit diesem Dreiklang erobert eine ganze Menge privater Kinderbetreuungseinrichtungen den Alltag der Eltern. Nicht nur private Elterninitiativen und kommerzielle Anbieter haben die Nische für sich entdecket – auch Arbeitgeber erobern das Feld. Ein Großteil der Dax-Konzerne leistet sich Kitas. Rund 670 dieser Einrichtungen für knapp 30 000 Kinder gibt es heute im Land, 2008 waren es rund 370. Die Arbeitgeber treibt die Angst, nicht mehr attraktiv genug für Talente zu sein. Deshalb investieren sie jährlich bis zu siebenstellige Beträge in die Kinderbetreuung.
Von Standard bis Luxus
Es ist vor allem der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, der den Boom der Privaten mitentfacht hat. In den Jahren vor dem Stichtag 1. August 2013 und auch in den Monaten danach sind in der Republik überall neue oder größere Einrichtungen entstanden. Das Bundesfamilienministerium hat viele Private beim Bau von Kitas unterstützt. „Der Staat kann froh sein und setzt ja auch darauf, dass Elterninitiativen und private Investoren eine so starke Rolle im Kita-Ausbau haben“, sagt Philipp Haußmann, Chef des Familienunternehmens Klett. Der Verleger, bekannt durch seine Schulbücher, ist ebenfalls einer jener Bildungspioniere mit Unternehmergeist, die den Betrieb von Kindertagesstätten und Schulen entdeckt haben.
Vom normalen Standard bis zum absoluten Luxus – bei den Privaten ist alles dabei. Über alle freien Träger hinweg zahlen Eltern im Schnitt 100 bis 200 Euro im Monat. Bei nicht-gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen sind es zwischen 300 und 500 Euro, bei den gewinnorientierten bis zu 1 500 Euro. Reich werden die meisten Anbieter mit Kitas aber nicht; laut einer Stichprobe der Beratung BGP bleiben vom Umsatz zwischen 0,5 und sechs Prozent Betriebsgewinn übrig.
Förderung der freien Träger
Dass es bei den Kitas so viele freie Träger gibt, liegt an der Historie und der Finanzierungslogik der Kommunen. Viele machen bei den Zuschüssen keinen Unterschied zwischen öffentlichem, gemeinnützigem und gewinnorientiertem Träger – solange ein gewisser Teil der Plätze in den Einrichtungen allen Kindern offensteht. Wer gefördert wird, darf meist nur die Gebühren nehmen, die Eltern auch in staatlichen Einrichtungen zahlen.
Auch viele Betriebskitas bekommen diese Zuschüsse. Weil die Firmen aber meist Geld zuschießen, können sie mehr bieten – über Wohlfühlangebote hinaus: längere Öffnungszeiten, kürzere Ferien, mehr Mitarbeiter in den Gruppen und damit weniger Stress für die Eltern. „Die Privaten setzen Maßstäbe, und die anderen ziehen nach“, sagt Michael Göring, Chef der Zeit-Stiftung Bucerius. Auch deshalb haben viele Betriebskitas lange Wartelisten, auch deshalb stocken etliche Unternehmen ihre Einrichtungen weiter auf. Bayer baut in Leverkusen für rund sechs Millionen Euro eine neue Kita, Siemens will bis Ende 2015 von aktuell mehr als 1 400 auf 2 000 Plätze in Deutschland erweitern. „Großes Wachstumspotenzial wird es auch weiterhin bei den Betriebskitas geben“, heißt es in der Studie der Beratung BGP.
Beispiel Schulen: Wenn Thomas Lindner über das Gelände des von ihm geführten Unternehmens in Albstadt streift, konnte er früher schlichte Industriehallen und zweckmäßige Büros zeigen. Seit einiger Zeit aber entdeckt der Chef des Herstellers industrieller Maschinennadeln Groz-Beckert in einem schicken Neubau allerlei Buntes: einen Aufenthaltsraum samt Kicker, gemütliche Holzmöbel, modern gestaltete Klassenzimmer. Groz-Beckert hat nicht nur einen Kindergarten, sondern auch eine Grundschule gebaut. „Unsere Mitarbeiter signalisierten uns immer wieder ihre Not mit der Betreuung nach der Kindergartenzeit“, sagt der Chef. Im Neubau können die Kinder bis 18 Uhr bleiben. Kita und Schule schließen an nur 23 Tagen im Jahr, die mit den Betriebsferien der Firma übereinstimmen. Naturwissenschaften, Technik oder Musik sollen besonders gefördert werden, Muttersprachler reden Englisch. „Viele Industrieunternehmen haben ein Interesse, die Kinder der Umgebung gut auszubilden und ihren Mitarbeitern eine gute Schule zu bieten“,sagt Haußmann, Chef der Klett-Gruppe, die Kindergarten und Schule für Groz-Beckert betreibt. Das ist eine von mehr als 30 Bildungseinrichtungen des Schulbuchverlags in Deutschland.
Mut für Neues
Eine neue Generation Privatschul-Betreiber breitet sich aus. Ein Großteil der Schulen in freier Trägerschaft sind zwar immer noch die evangelischen und katholischen, sie werden aber immer stärker ergänzt durch freie Anbieter aller Couleur. Teure Einrichtungen wie die Internationalen Schulen in Düsseldorf, Augsburg oder Dreieich bei Frankfurt, ursprünglich für die Kinder von Expats gedacht, aber zunehmend von meist betuchten deutschen Eltern entdeckt; Reformschulen der Waldorf- oder Montessori-Pädagogik, die die freie Entfaltung betonen und damit vor allem Mittelschichtseltern ansprechen; Betriebsschulen von Unternehmen, die als Arbeitgeber interessant bleiben wollen, aber auch Einrichtungen kommerzieller Anbieter wie Klett oder Phorms.
Vor allem den Mut, Neues auszuprobieren, rechnen viele Bildungsforscher den Privatschulen hoch an. „Zu Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Reformimpulse oftmals aus den Schulen in freier Trägerschaft stammen“, fasst der Düsseldorfer Professor Heiner Barz zusammen. Viele Ansätze hätten staatliche Schulen übernommen. Dennoch halten Kritiker wie der emeritierte Bildungsökonom Manfred Weiß nichts von der Glorifizierung der Privaten: „Explizite Reformintentionen sind nur bei einem kleinen Teil privater Schulen zu verorten.“
Bessere Ausbildung?
Dass es Privatschulen in Deutschland geben kann, garantiert das Grundgesetz. Wenn sie als Ersatzschulen anerkannt sind – dafür müssen sie staatliche Abschlüsse anbieten und nach den Lehrplänen der Länder unterrichten – , erhalten sie einen Zuschuss vom Staat. Der deckt je nach Schultyp und Bundesland aber nur zwischen 45 und 90 Prozent der Kosten. Schulen, die nur internationale Abschlüsse anbieten, erhalten in der Regel kein Geld vom Staat. Deshalb zahlen Eltern an den International Schools schon mal fünfstellige Schulgebühren im Jahr – bis zu 14 280 Euro sind es in Augsburg.
Für den Staat sind Kinder auf Privatschulen also günstiger. „Je nach Radikalität des Ansatzes sind Zahlen von mindestens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr im Umlauf, die durch die freien Schulen im Staatshaushalt eingespart werden“, erklärt Bildungsforscher Barz. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ging in einer Studie aus dem Jahr 2011 sogar von 2,4 Milliarden für die allgemeinbildenden Schulen aus.
Die Frage ist, ob sie dafür eine bessere Ausbildung bieten. Beim Pisa-Test schneiden die Privatschüler meist etwas besser ab. Berücksichtigt man aber, dass ihre Eltern oft besser gebildet sind und die Klassen daher nicht repräsentativ sind, relativiert sich der Vorsprung. Und Werte wie kulturelle Bildung oder Persönlichkeitsentwicklungen prüft keiner vergleichend.
Beispiel Hochschulen: Die Jacobs University in Bremen liegt idyllisch im Grünen. Zwischen den Bäumen auf einem ehemaligen Kasernengelände lugen hier und da niedrige, meist verklinkerte Gebäude hervor, in denen Institute, Büros, Kino und Theaterwerkstatt, aber auch Wohnheime für die Studenten untergebracht sind. Wer Uni-Präsidentin Katja Windt sprechen will, wird schon auf dem Weg zu ihr mit dem Anspruch der privaten Hochschule konfrontiert. „Jung oder alt, reich oder arm, Frau oder Mann, jeder hat das Recht auf gute Bildung“ – der Spruch des 2008 verstorbenen Kaffeeunternehmers und großzügigen Spenders Klaus Jacobs steht auf Englisch in großen, grauen Lettern an der Wand im Foyer des Verwaltungsgebäudes. Man wolle eine Hochschule der internationalen „Bildungselite, nicht der Geldelite“ sein, sagt Windt in ihrem Büro ein Stockwerk darüber.
Private Hochschulen in Finanzierungsnot
Wie viel davon am Ende übrig bleibt, ist ungewiss. Trotz der 200-Millionen-Euro-Spende von Jacobs und einiger Millionen vom Land Bremen muss Windt das härteste Sparprogramm umsetzen, das die Uni je gesehen hat.
Das Dilemma der privaten Hochschulen lässt sich an kaum einem anderen Ort so gut beobachten wie in Bremen. Wo die Ansprüche hoch sind, ist auch die Resonanz der Studenten groß – nur wirtschaftlich hakt es. Ob Bremen, die Privatuni Witten Herdecke oder die EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden – immer wieder plagen private Universitäten Geldsorgen. Dennoch sind die privaten Anbieter attraktiver denn je. Wie das zusammenpasst?
Spezialisierung in praxisnahe Ausbildung
Weil private Hochschulen in der Öffentlichkeit zwar mit anspruchsvollen Eliteeinrichtungen wie Jacobs oder EBS gleichgesetzt werden. Die meisten aber sind Fachhochschulen, die auf jene Studenten setzen, die die staatliche Konkurrenz vernachlässigt bis ignoriert: junge Menschen, die dual studieren wollen, also an der Hochschule lernen und das direkt im Unternehmen anwenden. Fachkräfte, die sich neben dem Beruf weiterbilden wollen. Oder Abiturienten, die etwa in Gesundheitsberufen nicht mehr auf eine Ausbildung setzen, sondern auf ein Studium, das in drei Jahren zum Bachelor führt.
Und dieses Geschäft dominieren Hochschulen wie die FOM oder Steinbeis, die sich auf Berufstätige und die praxisnahe Ausbildung in Kooperation mit Unternehmen spezialisiert haben. Anders als die akademischen „Leuchttürme“ sind sie auch gar nicht so klein. Die FOM etwa hat mehr als 21 000 Studenten, Steinbeis 6 500. Trotz meist fünfstelliger Studiengebühren. Bis zu 500 Siemensianer sind zeitweilig allein an der Steinbeis-Hochschule eingeschrieben.
Zu den größten privaten zählen auch die Fernfachhochschulen wie die zum Klett-Konzern gehörende Wilhelm Büchner Hochschule oder die Hamburger Fern-Hochschule. „Wir müssen aufpassen, dass Hochschulen nicht zu reinen Ausbildungsstätten werden“, sagt Zeit-Stiftungs-Mann Göring. „18- bis 22-Jährige brauchen Anregungen, die weit über den Anwendungsbereich hinausgehen.“ Er, der auch den Bundesverband deutscher Stiftungen leitet, sieht seine Kollegen in der Pflicht. Sie müssten etwa viel mehr geisteswissenschaftliche Ansätze fördern, in der Bucerius Law School lege man darauf Wert. Echte Innovationen sieht man bei vielen privaten Hochschulen eher nicht. Auch, weil sie sich meist auf die günstigen Fächer konzentrieren, die sich aus Büchern lehren lassen und keine teuren Labore erfordern. Das heißt aber: In vielen Fächern haben die staatlichen Hochschulen gar keine private Konkurrenz.
Was aber folgt daraus? Wird Humboldts Bildungsideal ausverkauft an schnöde Profitinteressen? Oder braucht es gar mehr private Einrichtungen? Es kommt darauf an, wen man fragt. Für Privatschulkritiker Manfred Weiß wohl eher weniger als heute. Für den Bildungsökonomen Ludger Wößmann von der Münchener Universität allerdings viel, viel mehr.
Elite bleibt lieber unter sich
Weiß ist überzeugt, dass Eltern ihre Kinder vor allem deshalb auf Privatschulen schicken, damit sie dort unter sich bleiben. „Die Privatschulklientel rekrutiert sich vornehmlich aus den bildungsnahen Schichten“, argumentiert er. Zum Teil wollten Eltern schlicht vermeiden, dass ihre Sprösslinge mit Migranten oder jenen aus Hartz-IV-Familien in einer Klasse säßen.
Dass private Kitas, Schulen und Hochschulen segregieren, bestreiten viele Befürworter der Einrichtungen nicht. Allerdings greife es zu kurz, in der Kategorie Reich und Arm zu denken. Denn nicht das Einkommen der Eltern entscheidet laut einer Studie des unabhängigen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ob sie ihre Kinder auf eine private Schule schicken, sondern ihre Bildung. „Man kann nicht bestreiten, dass freie Schulen meist einen gewissen Milieuschwerpunkt haben“, so Forscher Barz. Dabei hat Deutschland ohnehin ein Problem mit der Chancengleichheit. Schließlich sind bis zu 20 Prozent der Jugendlichen Bildungsverlierer, die nicht richtig lesen und schreiben können. Entsprechend selten finden sie eine Lehrstelle.
Bildung von Anfang an
Es ist nicht so, als hätten Unternehmen, private Initiativen und Stiftungen das nicht erkannt. Henkel etwa coacht Düsseldorfer Neuntklässler von Hauptschulen ein Jahr lang, um sie fit für den Beruf zu machen, die Beratung Boston Consulting Group und die Eberhard von Kuenheim Stiftung von BMW haben mit Joblinge vor Jahren ein erfolgreiches Programm aufgelegt, in dem Mentoren aus der Wirtschaft geringqualifizierten oder arbeitslosen Jugendlichen helfen, Fuß zu fassen. Kritiker allerdings monieren: Diese Programme seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Henkel etwa unterstützt aktuell nur 24 Hauptschüler.
Das grundlegende Problem aber ist: „Man kann nicht an allen Ecken dieser Welt kämpfen. Wenn es Eltern gibt, die partout nicht einsehen, warum Bildung wichtig ist – was wollen Sie da machen?“, fragt Göring, dessen Stiftung ebenfalls Jugendliche am unteren Bildungsrand unterstützt.
Bildungsökonom Wößmann plädiert dennoch für mehr freie Schulanbieter: „Wenn alle Schulen staatlich finanziert sind, egal ob öffentlich oder privat, dann werden alle Schulen besser, je mehr Wahlmöglichkeiten es gibt“, hat er in internationalen Studien herausgefunden. „Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern profitieren davon am meisten.“
Ungleichheit nicht manifestieren
Allerdings knüpft er das an ein paar Bedingungen: Keine Schule darf zusätzliche Gebühren nehmen, keine darf sich ihre Schüler aussuchen, die Schulen brauchen mehr Autonomie, um Lehrer selbst einstellen zu können. Und: Gute Schulen müssen wachsen können, damit schlechte Druck haben, sich zu verbessern.
Nur: In Deutschland passiert gerade das Gegenteil, das private Engagement steigt massiv. Wößmann, zugleich Direktor am Ifo-Zentrum für Bildungs- und Innovationsökonomik, sieht das als Problem: „Je mehr private Mittel ins Schulsystem fließen, desto eher wächst die Ungleichheit.“