Dreiviertel der Führungskräfte arbeiten 1,5 Jahre umsonst
Mit Verantwortung und Gehalt steigen die Überstunden – unbezahlt wohlgemerkt. Das scheint die heimliche Gleichung fürs Arbeitsleben zu sein.
Ohne Überstunden geht in deutschen Unternehmen nichts mehr: Im Schnitt arbeiten knapp 54 Prozent der Beschäftigten mehr als 40 Stunden in der Woche. Führungskräfte kommen dabei auf ein Plus von 7,8 Stunden pro Woche, Fachkräfte sind 2,7 Stunden pro Woche länger an ihrem Arbeitsplatz. Das zeigt der Arbeitszeitmonitor 2019 des Vergütungsspezialisten Compensation Partner, für den 215.403 Daten ausgewertet wurden.
Das Positive der Studienergebnisse: Die Zahl der durchschnittlich geleisteten Überstunden hat sich in den vergangenen 10 Jahren mehr als halbiert. „Die angespannte Situation der Finanzkrise führte im Jahr 2009 zu deutlich mehr Überstunden als heute.
Derzeit erleben wir einen Wirtschaftsboom und die Work-Life-Balance steht im Vordergrund, wodurch die Bereitschaft zu Überstunden tendenziell geringer ist“, sagt Tim Böger, Geschäftsführer von Compensation Partner.
Seit Mitte Mai dieses Jahres sind Unternehmen laut EU-Gesetz dazu verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren. Überstunden sollen so nicht mehr unter den Tisch fallen können.
In manchen Arbeitsverträgen ist geregelt, dass ein bestimmtes Maß an Mehrarbeit erwartet wird, ohne diese vergüten zu müssen. Tarifverträge unterbinden das in vielen Fällen. Führungskräfte fallen jedoch häufig nicht unter den Tarifschutz.
So viele Überstunden machen alle
Mehr als ein Drittel aller Beschäftigten leistet bis zu 5 Stunden Mehrarbeit pro Woche, etwas mehr als ein Zehntel ist bis zu zehn Stunden länger am Arbeitsplatz.
Nur etwa 5 Prozent leisten mehr als 10 Überstunden pro Woche. „Meistens sind es Führungskräfte und Geschäftsführer, die deutlich länger im Büro sitzen“, erklärt Vergütungsexperte Böger. Regional gibt es dabei kaum Unterschiede.
Die Branche mit der höchsten durchschnittlichen Überstundenanzahl ist die Unternehmensberatung: Ihre Beschäftigten arbeiten etwa 5,2 Stunden länger pro Woche. Nur ein Viertel erhält für diese Extraarbeit einen Ausgleich.
Doch die insgesamt sehr lukrativen Gehälter, die in dieser Branche üblich sind, spiegeln auch das hohe Arbeitspensum wider. Die Einkommen in der Unternehmensberatung liegen rund 16,2 Prozent über dem Branchendurchschnitt in Deutschland.
So unterscheiden sich Fach- und Führungskräfte
In ihrem gesamten Berufsleben sammeln Fachkräfte 9.655 Überstunden. Umgerechnet arbeitet jede Fachkraft rund 13 Monate umsonst, heißt es im Arbeitszeitmonitor.
Führungskräfte sind noch stärker gefordert. Für die Studie setzt bei ihnen die Berechnung ab dem 27. Lebensjahr an: Bis zum 30. Lebensjahr kommen sie auf rund 1.327 Überstunden, die sich bis zum 35. Lebensjahr auf 3.354 mehr als verdoppeln.
Bis zum Renteneintritt summiert sich diese Zahl auf 15.390 Stunden. Das ergibt eine Arbeitsleistung von einem Jahr und neun Monaten. 75 Prozent der Führungskräfte kassieren für ihre Mehrarbeit zudem kein Geld. Somit arbeiten sie mehr als eineinhalb Jahre umsonst.
So unterscheiden sich Frauen und Männer
Zwischen Frauen und Männer besteht – wie so oft – ein Ungleichgewicht. Männliche Fachkräfte arbeiten insgesamt 3,7 Stunden zusätzlich, ihre Kolleginnen kommen auf 2,2 Überstunden pro Woche.
Auffallend ist, dass Frauen für ihre zusätzliche Arbeitszeit aber nicht im gleichen Maße bezahlt werden. So erhalten 46 Prozent der Männern einen Ausgleich für ihre Überstunden, bei den Frauen sind es nur 41 Prozent.
In der Führungsetage verringert sich der Unterschied ein wenig: Männliche Führungskräfte arbeiten im Schnitt 7,9 und Chefinnen machen 6,8 Überstunden pro Woche.
So fallen Alter und Jahresgehalt ins Gewicht
Berufseinsteiger leisten mit durchschnittlich 1,74 Überstunden die geringste Anzahl pro Woche. 29-Jährige kommen auf etwa zweieinhalb Stunden pro Woche, bei den über 50-Jährigen ist es eine gute Stunde in der Woche mehr.
Mit den meisten Überstunden schlagen Führungskräfte zwischen dem 50. und 59. Lebensjahr zu Buche: Im Schnitt sind sie 8,3 Stunden mehr im Einsatz. Chefs mit einem Jahreseinkommen von über 120.000 Euro arbeiten im Schnitt sogar 10,5 Stunden länger.
Fachkräfte mit einem vergleichbaren Gehalt kommen auf knapp 7 Überstunden. Und selbst die Beschäftigten mit einem Jahresgehalt von weniger als 20.000 Euro müssen noch 1,9 Überstunden wöchentlich leisten.