Vorstellungsgespräch: So vergeigen Bewerber die scheinbar einfachste Frage im Vorstellungsgespräch
Was Sie am besten auf „Was ist Ihre größte Stärke?“ antworten – und was nicht.
Eigene Stärken erkennen Bei der Frage nach der größten Stärke zählen im Vorstellungsgespräch vor allem konkrete Beispiele und Referenzen. © Karriere Kinga Cichewicz on Unsplash
Klar: Im Gegensatz zu Killerfragen wie der nach den eigenen Schwächen erscheint die Frage nach den größten Stärken im Vorstellungsgespräch geradezu harmlos. Und tatsächlich ist die Chance groß, hier mit ein paar klugen Sätzen einen ordentlichen Eindruck zu hinterlassen.
Doch das bedeutet keineswegs, dass die Frage „Was sind Ihre größten Stärken“ einfach zu beantworten ist. Das Gemeine: Der Grat zwischen einer selbstbewussten und einer arrogant wirkenden Antwort ist hauchdünn. Hier sind vier Beispiele, wie die meisten Bewerber die Frage nach ihren größten Stärken vergeigen – und konkrete Tipps, wie es besser geht.
Sie lassen nur Floskeln von sich ab
„Ich bin dafür bekannt, die Karten auf den Tisch zu legen. Außerdem bin ich authentisch, transparent und stets offen für Neues.“ Na, fällt Ihnen etwas auf? Diese Aussagen sind ziemlich austauschbar, oder? „Das Auflisten von Floskeln ist überflüssig – und wird sofort durchschaut“, sagt die Schweizer Wirtschaftspsychologin Filiz Scarcella, die als Coachin und Mentorin arbeitet. Auch könnte das wahllose Aufzählen von Stärken beim Personaler oder späteren Chef im Gespräch beliebig wirken.
So geht es besser: Executive Coach Gudrun Happich rät, eine konkrete Stärke zu nennen und diese dann an einem Beispiel zu belegen. „Ist etwa Kreativität in Ihrer künftigen Aufgabe wichtig, ist es wenig hilfreich, wenn Sie mit Ihrem Hang zum Zahlenfetischismus aufwarten“, sagt Happich.
Beispiel: „Ich bin sehr zuverlässig. Das hört sich allgemein an, daher möchte ich es an einer konkreten Situation festmachen: Werde ich per Mail von einem Kollegen kontaktiert und um Hilfe gebeten, antworte ich innerhalb von zwölf Stunden und mache einen Vorschlag für ein Telefonat oder Treffen. Wenn jemand nach einer Woche nichts von mir hört, erhalte ich die Rückmeldung, ob ich krank sei, denn dieses Verhalten ist für mich extrem untypisch.“
Ihre größte Stärke ist nicht jobrelevant
Wer genau hingeschaut hat, konnte schon aus dem ersten Beispiel herauslesen: Bei der ersten Grobauswahl – so bitter es manchmal für die eigenen Talente sein mag – sollten nur jobrelevante Stärken genannt werden. „Die Identifikation mit dem nächsten Arbeitgeber sollten Bewerber nicht unterschätzen“, erklärt Scarcella.
So geht es besser: Als Bewerber sollten Sie sich bei jeder Stärke, die Sie nennen möchten, vorher fragen: (Wie) passt meine größte Stärke zu dem Unternehmen und der Position, auf die ich mich bewerbe? Anhaltspunkte, was das Unternehmen erwartet, liefern:
- die konkrete Stellenausschreibung,
- die Karriereseite des Unternehmens,
- Gespräche mit (ehemaligen) Mitarbeitern.
Beispiel: „Wie ich gehört habe, sind Sie ein Unternehmen, in dem Kommunikation großgeschrieben wird. Zur Kommunikation gehört immer auch Zuhören. In Gesprächen haben mir meine Teamkollegen oft gespiegelt, dass ich im richtigen Maß auf Ihre Belange achte. Eine Mitarbeiterin hat im Jahresgespräch zum Beispiel einmal zu mir gesagt: „Bei Dir fühle ich mich wirklich verstanden und ernst genommen. Du hörst mir zu und gibst mir wertvolle Impulse und Ideen.“ Das war eine tolle Bestätigung meiner Führungsarbeit.“
Sie können keine Beispiele nennen
Sie sind ein großer Teamspieler? Haben viel Empathie? Gut für Sie. Und wann genau haben Sie das zuletzt bewiesen? Auf solche Nachfragen sollten Sie gefasst sein, wenn Sie ihre größte Stärke nennen. „Lebendige Beispiele sind bei der Frage nach den eigenen Stärken die halbe Miete“, sagt Coach Happich.
So geht es besser: Um nie mehr ein Beispiel oder eine Anekdote als Beleg für die größte Stärke zu vergessen, rät Bewerbungsexpertin Happich, ein Antwortschema im Kopf zu haben, das da heißt: „Ich bin…“, „Ich kann…“ – und „Das hat sich an folgender Situation gezeigt…“ Dieser Dreiklang lässt sich gut vor einem Vorstellungsgespräch einüben und zwingt Sie gewissermaßen, ein konkretes Beispiel als Beleg zu nennen.
- Das „Ich bin“ sollte dabei ihre bisherige Position und Erfahrung widerspiegeln.
- Das „Ich kann“ die konkrete Stärke herausstellen.
- Und der Satz „Das hat sich in folgender Situation gezeigt“ leitet dann das konkrete Beispiel ein.
Sie tappen in die Freunde-Falle
Vielleicht haben Sie im Bewerbungsgespräch selbst schon einmal einen Satz mit den Worten „Also meine Freunde sagen von mir immer…“ begonnen. So schnell diese Referenz hergestellt ist, Freunde oder auch Familie haben als Kronzeugen für Ihre größte Stärke im Vorstellungsgespräch nichts zu suchen.
„Die meisten Menschen verhalten sich privat ein Stück weit anders als im Beruf“, erklärt Coach Happich. „Von daher schreiben Freunde und die Familie einem oft Stärken zu, die beruflich nicht auftreten oder schlicht irrelevant sind.“
So geht es besser: Klar, die wenigsten Bewerber klopfen sich gerne selbst auf die Schulter. Insofern ist das Ausweichen auf andere Personen als Referenz absolut legitim und stärkt ihre Glaubwürdigkeit. „Auf professioneller Ebene ergibt es jedoch mehr Sinn, sich auf ehemalige Kollegen, Projektmitarbeiter oder Vorgesetzte zu berufen, statt das private Umfeld mit in die Sache hineinzuziehen“, sagt Wirtschaftspsychologin Scarcella.
Beispiel: „Meine letzte Chefin hat mir nach einem wichtigen Kundengespräch bestätigt, dass ich sehr gut darin bin, offen auf Leute zuzugehen und zu kommunizieren.“ Anschließend können Sie noch etwas mehr zu der konkreten Situation erzählen und Nachfragen abwarten – und schon müssen Sie sich nicht mehr selbst über den grünen Klee loben.
Denn eins gilt bei der Frage nach der größten Stärke auch: Den Verlauf des Gesprächs bestimmen an dieser Stelle eindeutig die Bewerber.
Mehr: Wie und wo Sie trotz Corona-Krise jetzt noch einen Job finden