Jahresgespräche für Mitarbeiter: Tipps für das Gespräch mit dem Chef

Vorbereiten will sie keiner, führen muss sie fast jeder: Jahresgespräche sind für Mitarbeiter wie Vorgesetzte oft kein Vergnügen. Hier einige Tipps, wie beide Seiten den Pflichttermin gewinnbringend gestalten können.

Manfred Engeser | 21.04.2024
Jahresgespräch Tipps Mitarbeiter

Den Termin hatte sie sich dick im Kalender angestrichen: Donnerstag, den 9. Dezember 2010, Jahresgespräch mit dem Chef. Für Petra Krahne (Name geändert) war es eine Premiere – für ihren Vorgesetzten auch. Der hatte das Instrument gerade erst im Unternehmen eingeführt und Petra Krahne wenige Tage zuvor einen dicken Fragebogen überreicht, darin: 80 Fragen zu ihrer Arbeit im vergangenen Jahr und ihren Vorstellungen für das kommende.

Die Kauffrau füllte den Fragebogen gewissenhaft aus. Sie war fest davon überzeugt, gute Arbeit geleistet zu haben. Und wollte das Gespräch mit ihrem Chef auch nutzen, um über einen Serviceleiter zu sprechen, der ihr ständig unvollständige Daten ablieferte. Doch es kam anders.

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Zwischen „abwartend“, „unentschlossen“ und „resigniert“ sortierte der Chef Krahnes Leistung ein. Und forderte sie auf, die Probleme mit dem Serviceleiter selbst zu lösen – diese belasteten ja schon das Betriebsklima. Schließlich sollte sie noch schriftlich auf die Hälfte ihrer kürzlich genehmigten Gehaltserhöhung verzichten, andernfalls würden Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen.

Mit Problemen alleingelassen, die Leistung abgewertet, das Gehalt gekürzt – das Gespräch entwickelte sich zum Fiasko. Selten habe sie sich „so hilflos gefühlt“, sagt Petra Krahne. Enttäuscht sei sie – und „maßlos frustriert“.

Zugegeben: Dass Jahresgesprächen so extrem aus dem Ruder laufen wie in diesem Fall, ist nicht die Regel. Doch klar ist auch: Mitarbeiter, die sich auf das Jahresgespräch mit ihrem Chef freuen, sind die Ausnahme. Die meisten gehen mit einem flauen Gefühl in den turnusmäßigen Termin, der dieser Tage in vielen Unternehmen ansteht – weil sie entweder mit einer verbalen Abreibung rechnen oder mit einem Alibigespräch, durch das sich doch nichts ändert.

Aber auch viele Chefs begegnen den meist zwischen Dezember und März anberaumten Vier-Augen-Unterredungen mit Skepsis. Für sie ist der Termin so beliebt wie der Gang zum Zahnarzt und nichts als pure Zeitverschwendung.

97 Prozent der Personalverantwortlichen halten Mitarbeitergespräche zwar generell für sinnvoll, fanden die Wirtschafts- und Personalpsychologen Rüdiger Hossiep und Jennifer Bittner in einer Umfrage heraus. Zugleich aber kritisierten die Manager den „hohen Zeitbedarf“ und „mögliche Autoritätsverluste“. Aufseiten der Mitarbeiter wiederum fehle der „Glaube, dass sich aus dem Gespräch tatsächlich Konsequenzen ergeben“.

Lästige Pflicht

Das Jahresgespräch werde oft von beiden Seiten „als lästige und sinnlose Pflichtübung abgetan“, bestätigt Heike Cohausz, geschäftsführende Gesellschafterin der Personalberatung von Rundstedt & Partner. Sie sagt aber auch: „Richtig durchgeführt, ist es ein zentrales Element der Führung.“

Mehr noch: Der regelmäßige Dialog zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter hat enormen Einfluss aufs Betriebsklima. Als etwa Klaus Moser, Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, die Mitarbeiter einer Stadtverwaltung zu den Effekten solcher Gespräche befragte, stellte er fest: Wurden diese lustlos geführt, erhöhten sie bei den Betroffenen weder die Zufriedenheit im Job noch verbesserte sich die Kommunikation mit dem Vorgesetzten noch stärkten sie das Vertrauen in den Chef. Wurden die Gespräche aber professionell vorbereitet und mit ernsthaftem Engagement angegangen, änderten sich Kommunikation und Zufriedenheit zum Positiven.

Die WirtschaftsWoche wollte es jetzt noch genauer wissen und befragte dazu alle im Dax, MDax, TecDax und SDax gelisteten Aktiengesellschaften. Wir wollten herausfinden, ob und wie Unternehmen Jahresgespräche einsetzen und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben.

Ergebnis: In mehr als 90 Prozent der befragten Unternehmen sind Jahresgespräche seit vielen Jahren üblich, die Prozesse werden regelmäßig weiterentwickelt. Dass sie, wie beim Hamburger Waggon-Vermieter VTG, gerade erst eingeführt werden, ist die große Ausnahme.

Rhetorisches Geklingel

Allerdings sorgen die Jahresgespräche in vielen Unternehmen auch für allerlei rhetorisches Geklingel – „Jahresgespräch“ oder „Feedback-Gespräch“ klingt den meisten Personalern offenbar zu profan. Bei Adidas heißen die Unterredungen PEPs (Performance Evaluation and Planning), beim Chemiekonzern Bayer gelten sie als „zentraler Bestandteil des Performance-Management-Prozesses“ und damit als „wichtiger Aspekt des Development Cycles“. Automatisch besser werden sie davon nicht.

So unterschiedlich die Bezeichnungen sind, so variabel ist auch die Zeit, die sich Vorgesetzte für den jährlichen Austausch mit ihren Mitarbeitern nehmen: Üblich sind eine bis zweieinhalb Stunden. Mal werden sie aber, wie bei der Beteiligungsgesellschaft TAG Immobilien, im 30-Minuten-Stakkato durchgezogen. Mal, wie bei Infineon, kommt ein einstündiges Vorgespräch dazu, bevor man eine weitere Stunde lang in die Vollen geht. Oder die Kollegen tagen, wie beim Bergbau-Unternehmen K+S, „so lange wie notwendig“.

Hinzu kommt: Immer öfter können sich Mitarbeiter wie Vorgesetzte mithilfe eines Leitfadens, der oft per Mausklick abrufbar ist, auf den Termin vorbereiten.

Beim Textileinzelhändler Gerry Weber bekommt jeder Mitarbeiter rund zwei Wochen vorher eine offizielle Einladung per Outlook, die neben dem Termin einen vorab auszufüllenden Fragebogen sowie Details zur Gesprächsstruktur enthält. Die Deutsche Post wiederum bietet ein spezielles Computerprogramm an, über das jeder Mitarbeiter vorab seine Kompetenzen einschätzen lassen kann – als Argumentationshilfe. Parallel dazu bewertet der Vorgesetzte die Leistungen des Mitarbeiters. Beide Perspektiven werden dann gemeinsam diskutiert, und daraus wird ein Entwicklungsplan abgeleitet.

Auch die Deutsche Bank setzt auf eine elektronische Variante im Intranet. Dort können zunächst Mitarbeiter ihre eigene und Vorgesetzte die Leistung der Mitarbeiter bewerten. Die im anschließenden Gespräch vereinbarten Ziele werden ebenfalls dort gespeichert und sind für beide Seiten jederzeit einsehbar.

Und beim Rückversicherer Munich Re werden die Ergebnisse der Jahres- sowie späterer Kontrollgespräche von der Führungskraft schriftlich per SAP-Modul festgehalten und zur elektronischen Weiterverarbeitung freigeschaltet. „Jahresgespräche formal zu beherrschen, reicht nicht“, warnt Kienbaum-Berater Eberhard Hübbe. „Entscheidender ist die Qualität der Gespräche.“

Und die stimmt viel zu selten, wie eine Studie des Management Institute SECS belegt: 84 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass der Austausch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern generell „mangelhaft und dürftig“ sei. In einer Umfrage der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft unter rund 400 deutschen Managern bescheinigten gerade mal 16,5 Prozent der Befragten ihrem Chef, gut zuhören zu können. Nur zwölf Prozent sagen, ihr Vorgesetzter könne sehr gut Feedback geben. Emotionen zu akzeptieren und Kritikgespräche zu führen gehört laut Studie dagegen nicht zu den Stärken deutscher Chefs.

Dasselbe Bild in der WirtschaftsWoche-Umfrage: Beim Baustoffhersteller HeidelbergCement etwa beschweren sich 15 Prozent der Mitarbeiter, weil Vorgesetzte das Treffen ausfallen ließen oder einfach nur über die Bühne bringen wollten.

Diese lasche Haltung erlauben sich allerdings immer weniger Personalverantwortliche – denn wer Jahresgespräche nicht ernst nimmt, spürt das neuerdings zunehmend am eigenen Geldbeutel:

Geben sich etwa die Führungskräfte beim Medien-Unternehmen ProSiebenSat.1 dabei wiederholt keine Mühe, riskieren sie eine Abmahnung. Auch bei Siemens haben Nachlässigkeiten „Konsequenzen auf Anerkennung, Förderung und Bezahlung“. Vorgesetzte, die beim Handelskonzern Metro Mitarbeitergespräche schwänzen, bekommen gar einen Eintrag in die Personalakte. Und wer sich beim mittelständischen Telekommunikationsdienstleister QSC dem Instrument verweigert, dem wird die Personalverantwortung entzogen.

Aber auch Mitarbeiter sollten sich auf den turnusmäßigen Dialog so gut vorbereiten wie auf ein Vorstellungsgespräch – eine Chance für Konto und Karriere.

Bei der Postbank etwa hängt die Höhe von Bonuszahlungen davon ab, wie gut erfolgsabhängige Ziele im zurückliegenden Jahr erreicht und im Jahresgespräch einvernehmlich bestätigt wurden.

Bei Adidas geht es für den einen oder anderen Mitarbeiter beim Jahresgespräch gar um alles oder nichts: Auf den Achsen eines Quadrats werden Leistung und Potenzial jedes Mitarbeiters gemessen. Oben rechts stehen die Champions – etwa jeder zehnte Mitarbeiter mit Aussicht auf eine steile Karriere bis hin zum Vorstand. Unten links stehen die „Player under review“ – die Spieler unter Beobachtung. Die sogenannten Spectators dagegen kauern bei der Doppelnull. Wer beim Jahresgespräch dort landet, also wenig geschafft hat und auch nicht den Eindruck macht, dass sich daran etwas ändert, muss das Unternehmen verlassen.

Ratschläge für das Jahresgespräch

Vor dem Gespräch

Kalender freiräumen
Vermeiden Sie stressige Termine vor und nach dem Jahresgespräch.
Termin vorbereiten
Bereiten Sie sich so gründlich vor wie auf ein Vorstellungsgespräch. Oft haben Sie nicht die Chance, mit Ihrem Chef so ausführlich zu sprechen.
Leitfaden lesen
Informieren Sie sich im Leitfaden Ihres Unternehmens über Zweck und Struktur des Jahresgesprächs. In schwierigen Gesprächen hilft ein Verweis darauf.
Ziele formulieren
Welche Projekte, welche Aufgaben sind Ihnen gelungen, was lief nicht so gut? Woran lag es? Wie können Sie und Ihr Chef zu einer Verbesserung beitragen? Wie wollen Sie im Unternehmen vorankommen? Formulieren Sie Ihre persönlichen Ambitionen so, dass klar wird, wie das Unternehmen davon profitiert.
Gespräch üben
Gehen Sie all diese Fragen im Kopf durch, skizzieren Sie Antworten und Gegenargumente, notieren Sie Stichpunkte – dann wirft Sie so leicht nichts aus der Bahn.

Im Gespräch

Bilanz ziehen
Nimmt der Chef das Jahresgespräch ernst, will er auf jeden Fall wissen: Mit welchen Aufgaben haben Sie sich im vergangenen Jahr hauptsächlich beschäftigt? Was ist gelungen? Was ist verbesserungswürdig?
Stellung nehmen
Nachdem Ihr Vorgesetzter klargemacht hat, welche Ziele das Unternehmen im kommenden Jahr verfolgt und wie Sie helfen können, diese zu erreichen, sollten Sie selbst Stellung beziehen: Teilen Sie die Meinung, die Ihr Chef von Ihnen hat? Halten Sie die gesteckten Ziele für realistisch? Sind sie konkret genug? Haken Sie nach, wenn Ihnen Details nicht klar sind.
Rahmen abstecken
Selten läuft ein Jahr wie prognostiziert. Steigende Rohstoffpreise oder veränderte Wechselkurse können Zielvereinbarungen torpedieren – ohne Ihre Schuld. Deshalb: Klären Sie die Rahmenbedingungen, unter denen Sie Ihre Ziele erreichen sollen. Und welche Korrekturen möglich sind, wenn etwas dazwischenkommt.

Ideen präsentieren
Sprechen Sie eigene Ideen an, die das Unternehmen nach vorne bringen und präzisieren Sie Ihre Rolle dabei. Am besten, bevor Ihr Chef Sie dazu auffordert – das beweist Initiative.
Projekte anstoßen
Sprechen Sie über Projekte, die Sie interessieren. Dazu gehören auch Fortbildungsmaßnahmen oder die Chance, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern.
Heikles ansprechen
Auch unangenehme Themen gehören jetzt auf den Tisch. Aber: Der Ton macht die Musik. Kritik am Chef ist okay – sollte aber schonend beigebracht werden. Viele Vorgesetzte können besser austeilen als einstecken. Empfinden Sie die Kritik des Chefs als verletztend, sprechen Sie das an.
Gehaltsgespräch abtrennen
Verwechseln Sie das Mitarbeitergespräch nicht mit einer Gehaltsverhandlung. Konkretes Feilschen um mehr Geld ist hier tabu – vertagen Sie das auf einen separaten Termin. Den aber können Sie zum Schluss des Jahresgesprächs schon festmachen.

Nach dem Gespräch

Bilanz ziehen
Gehen Sie den Gesprächsverlauf nochmals im Geiste durch. Was ist gut gelaufen, was weniger gut? Sind Sie zufrieden?
Nachgespräch nutzen
Trotz akribischer Vor- und Nachbereitung sind noch Punkte zu klären? Bitten Sie um ein kurzes Nachgespräch, um die offenen Punkte abschließend zu klären.
Protokoll fixieren
Lesen Sie das Gesprächsprotokoll vor dem Unterzeichnen aufmerksam durch – es ist Basis fürs nächste Jahresgespräch. Haben Sie Einzelheiten anders in Erinnerung, einigen Sie sich auf eine endgültige Fassung.
Chef loben
Wenn Sie mit dem Gespräch zufrieden waren, sagen Sie das Ihrem Chef – über positives Feedback freut sich jeder.