Dauerstress im Job: Kritik kompetent einstecken

Ständig für die Fehler anderer geradestehen. Für Zugbegleiter und Callcenter-Mitarbeiter ist das Joballtag. Wie geht man mit dem ständigen Stress um?

Olga Gala, Zeit.de | 19.12.2023

Stromausfall. Der Zug muss stehen bleiben. Drei Stunden lang an einem Bahnhof in der Provinz, irgendwo im mecklenburg-vorpommerischen Nirgendwo.

Emotionen in der Bahn

Die Reisenden sind entsetzt. Wie sollen da Anschlusszüge geschafft werden? Wann und wie soll es weitergehen? Zugführer Andreas Lojewski hat viel zu tun. Die Verpflegung an Bord geht zu Neige. Emotionen kochen hoch, die Beschwerden werden lauter. Andreas Lojewski muss handeln. Zum Glück ist ein Kollege vor Ort. Der hat ein Auto und weiß, wo man in der Nähe Getränke und Snacks bekommen kann. Und dann gelingt es dem Team, die Stimmung zu retten – mit einem Picknick auf dem Bahnsteig.

Andreas Lojewski, 44, arbeitet seit 26 Jahren als Zugchef bei der Deutschen Bahn. „Wenn es mal nicht so rund läuft, bin ich der erste Ansprechpartner für unsere Kunden“, sagt er. Ein kompletter Zugausfall komme glücklicherweise selten vor, Verspätungen können die Kunden aber auch verärgern. Schuld daran trägt er keine, den Fahrgästen muss er sich trotzdem stellen. Selbstvertrauen und Ruhe seien da wichtig, um Kritik nicht persönlich zu nehmen. „Zuhören ist wichtig, ganz viel zuhören und geduldig bleiben“, betont Lojewski.

Uniform schützt

Besonders häufig muss er sich Sätze wie „Ist ja typisch!“ und „Das schaffen Sie sowieso wieder nicht!“ anhören. Schön sei das nicht, aber er beziehe solche Aussagen nicht auf sich selbst. Das sei eine gute Taktik, sagt Stressforscher Tim Hagemann. Wenn der Mitarbeiter in eine professionelle Rolle schlüpfe, sei es leichter für ihn mit der Situation umzugehen. So habe auch die Arbeitskleidung einen psychologischen Schutz. Wer nach der Arbeit seine Uniform ausziehen könne, könne damit auch den Stress im Job ablegen, sagt Hagemann.

Wie erträgt man Berufe, in denen es die Aufgabe ist den Ärger von Kunden abzufangen? Macht das auf Dauer nicht krank? Ja, sagt Hagemann. Ein gewisses Risiko ist da. Denn wenn jemand angeschrien werde, schütte der Körper automatisch Stresshormone aus. Auch der Blutdruck und die Herzfrequenz steigen. Der Magen-Darm-Track und das Immunsystem werden heruntergefahren, denn die Energie werde nun woanders gebraucht. In der Urzeit, aus der auch diese Reaktionen kommen, hieß Stress: Bereitmachen zum Kampf oder zur Flucht.

„Wir sind soziale Wesen“, sagt Hagemann, „niemand mag negative Interaktion.“ Deshalb sei es wichtig, dass Menschen in Berufen, in denen sie häufig mit Kundenbeschwerden umgehen müssen, entsprechend geschult werden. Coachings, in denen die Arbeitnehmer lernen, wie sie eine schwierige Situation wieder auflösen können, seien essenziell, sagt Hagemann.

Aktives Zuhören

Eine einfache Technik sei es beispielsweise zusammenzufassen, was das Gegenüber gesagt hatte. Das vermittle ihm das Gefühl verstanden zu werden, erklärt Hagemann.

Zugführer Lojewski nimmt regelmäßig an Fortbildungen teil, die ihm helfen, den Stress im Joballtag zu meistern. Die meisten Situationen könne er mittlerweile durch deeskalierendes Verhalten entschärfen. Da helfe ihm auch die jahrelange Erfahrung. Und manchmal sei es sinnvoll, für einen Moment aus der Situation zu gehen, erzählt Lojewski. So wie im Frühsommer 2013, als ein Fahrgast wegen einer Verspätung laut und persönlich geworden sei. Dabei konnte aufgrund des Elbehochwassers an diesem Tag kaum ein Zug pünktlich fahren. Lojewski unterbrach die Auseinandersetzung.

Ruhe bewahren

„Ich habe gesagt, ich werde jetzt kurz an anderer Stelle gebraucht, aber komme gleich zurück. Das verstehen die meisten Reisenden. Auf diese Weise kommt eine kurze Auszeit in die Diskussion. Das hilft, um wieder rational und souverän zu handeln“, sagt Lojewski. Offenbar für beide Seiten: Als Lojewski später zu dem Fahrgast zurückkam, hatte auch dieser sich wieder beruhigt und entschuldigte sich.

„Stress ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil, er macht uns kurzfristig sogar leistungsfähiger“, sagt Hagemann. Wenn aber dauerhaft die Belastung nach Feierabend nicht abnimmt, kann das gesundheitlich Folgen haben.

Liegt der Mitarbeiter noch nachts in seinem Bett wach und grübelt über die Arbeit, können sich sein Blutdruck und die Herzfrequenz nicht normalisieren. Die Immunabwehr bleibt dauerhaft geschwächt und die Verdauung funktioniert auch nicht richtig. Auf Dauer macht das krank.

Laut der Techniker Krankenkasse (TK) haben besonders Beschäftigte in Dienstleistungsberufen ein erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken. Callcenter-Mitarbeiter, die wie der Zugchef viel mit Kundenbeschwerden umgehen müssen, sind zudem häufiger krank als der Bundesdurchschnitt. Unzureichende Grundqualifikation erhöhe die Arbeitsbelastung, so die TK.

Besonders in Callcentern ist das oft der Fall: Hier werden viele Arbeitnehmer nur kurz angelernt, wenn überhaupt. In der Regel sind die Löhne in der Branche niedrig, der Handlungsspielraum für den Einzelnen ist oft gering. Und die Arbeitsbedingungen sind auf nicht optimal. Zeitdruck, Großraumbüro und Lärm gehören häufig mit dazu.

Gesunde Arbeitsbedingungen sind wichtig

Einiges ändere sich nun allerdings, sagt Stressforscher Hagemann. Die seriösen Arbeitgeber der Branche schulen ihre Mitarbeiter im Umgang mit schwierigen Kunden. Und sorgen für gesunde Arbeitsbedingungen. Dazu gehört etwa soziale Unterstützung. Es sei wichtig, mit jemandem über die Erlebnisse bei der Arbeit reden zu können. Gerade in Berufen, wo man mit vielen starken negativen Emotionen der Kunden zu hat, sind die Vorgesetzten gefragt, zu motivieren und positives Feedback zu geben. Übt aber der Chef ebenfalls nur Druck aus, macht das viele Mitarbeiter auf Dauer krank.

Kann man für sich klar unterscheiden, ob der Ärger nur Teil des Berufs ist und nichts mit mir persönlich als Mensch zu tun hat und sind die sonstigen Arbeitsbedingungen gesund, gibt es außerdem Wertschätzung für die Tätigkeit durch den Arbeitgeber und stimmen die Rahmenbedingungen, dann kann man auch eine Ausbader-Tätigkeit bis zur Rente nachgehen, ist Hagemann überzeugt. „Es kann ja auch befriedigend sein, wenn man es geschafft hat mit einem schwierigen Kunden klarzukommen“, sagt der Arbeitspsychologe.

Nach der Arbeit abschalten

Diese Erfahrung teilt auch Lojewski. Ihn motiviere es, wenn es ihm gelingt einem Reisenden zu helfen. Und nach Feierabend? Lässt er die Arbeit Arbeit sein und kümmert sich um sein Privatleben. Und auch seine Pausen nutzt er aktiv, um abzuschalten. Wenn es die Zeit zulässt, verlässt er zwischen zwei Zugfahrten häufig auch den Bahnhof. „Ich setze mich dann einfach irgendwo auf eine Bank und beobachte Leute“, erzählt der 44-Jährige. So könne er am besten abschalten. „Nach Feierabend fahr ich immer mit dem Rad nach Hause, das ist für mich die beste Möglichkeit, den Kopf wieder frei zu kriegen.“

Zuerst veröffentlicht auf zeit.de