Bitkom-Studie: In Deutschland fehlen 124.000 IT-Experten
Die Zahl der unbesetzten Stellen im IT-Bereich steigt 2019 um mehr als die Hälfte.
Riesen-Gap Wo sind die IT-Experten, die gerade gesucht werden? Die Lücke bei den zu besetzenden Stellen wird immer größer. Foto: Marvin Kuhn on Unsplash
Die Zahl der offenen Stellen für IT-Fachkräfte erreicht eine neue Rekordmarke. In Deutschland gibt es aktuell 124.000 offene Stellen für IT-Spezialisten. Das entspricht einem Anstieg um 51 Prozent – verglichen mit dem Vorjahr (82.000).
Innerhalb von zwei Jahren hat sich damit die Zahl der unbesetzten IT-Stellen mehr als verdoppelt (2017: 55.000), so das Ergebnis einer Studie zum Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte, die der Digitalverband Bitkom jetzt in Berlin vorgestellt hat. Grundlage der Studie ist eine repräsentative Befragung von mehr als 850 Geschäftsführern und Personalverantwortlichen in Unternehmen ab drei Mitarbeitern aus allen Branchen.
83 Prozent geben an, dass sie einen Mangel an IT-Spezialisten auf dem Arbeitsmarkt erleben, vor zwei Jahren waren es erst 67 Prozent. Zugleich erwarten zwei Drittel, dass sich die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird.
„Der Mangel an IT-Experten betrifft längst nicht mehr nur die IT-Branche, sondern die gesamte Wirtschaft und auch Verwaltung, Behörden und Wissenschaft. So wie sich die Digitalisierung beschleunigt, wird der Bedarf an IT-Fachkräften in den kommenden Jahren weiter stark steigen“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg.
„Jede unbesetzte IT-Stelle kostet Umsatz, belastet die Innovationsfähigkeit der Unternehmen und bremst die nötige digitale Transformation. Der Mangel an IT-Experten bedroht die Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Wirtschaft.“
IT-Stellen oft länger als ein halbes Jahr unbesetzt
IT-Jobs sind für die Unternehmen deutlich schwerer zu besetzen als andere Stellen. So geben 40 Prozent der Unternehmen an, dass die Besetzung von IT-Stellen länger dauert als die anderer Positionen. Vor einem Jahr waren es mit 31 Prozent noch deutlich weniger.
Auch die Zeit, wie lange eine offene IT-Stelle im Schnitt unbesetzt bleibt, ist von fünf auf sechs Monate gestiegen. In 18 Prozent der Unternehmen bleiben IT-Stellen in der Regel länger als ein halbes Jahr unbesetzt, vor einem Jahr war das nur in jedem zehnten Unternehmen der Fall.
Berg: „Die IT hat deutlich kürzere Innovationszyklen als andere Unternehmensbereiche. Eine Vakanz für ein halbes Jahr oder mehr ist eine kleine Ewigkeit und kann dazu führen, dass Projekte in andere Länder verlagert werden oder überhaupt nicht zustande kommen.“
Software-Entwickler besonders nachgefragt
Besonders begehrt sind Software-Entwickler. Jedes dritte Unternehmen mit mindestens einer offenen IT-Stelle (32 Prozent) sucht Programmierer.
Es folgen IT-Anwendungsbetreuer (18 Prozent), Data Scientists (13 Prozent), IT-Projektmanager (12 Prozent) sowie IT-Berater und IT-Service-Manager (je 10 Prozent).
„Der hohe Bedarf an Software-Entwicklern zeigt die gravierenden Veränderungen, die im Zuge der Digitalisierung in den Unternehmen stattfinden“, sagte Berg. „Software wird immer mehr zum Teil des Kerngeschäfts. Damit zieht die Software-Entwicklung quer durch alle Branchen in die Unternehmen ein und gewinnt dort massiv an Bedeutung.“
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Gehaltsvorstellungen und Qualifikation der Bewerber passen nicht zusammen
Die Schwierigkeiten, die Unternehmen bei der Besetzung von IT-Stellen haben, sind vielfältig.
Am häufigsten werden zu hohe (72 Prozent) und nicht den Qualifikationen entsprechende (52 Prozent) Gehaltsforderungen der Bewerber beklagt.
41 Prozent der Unternehmen berichten von allgemein fehlender fachlicher Qualifikation der Bewerber und mangelhaften Testergebnissen im Auswahlverfahren (27 Prozent) – oder aber es fehlt an notwendigen Kenntnissen neuer Technologien wie KI oder Blockchain (9 Prozent).
Jedes dritte Unternehmen (32 Prozent) vermisst bei Bewerbern die notwendigen Soft-Skills wie Teamfähigkeit, jedes fünfte (20 Prozent) hat Bewerber, die nicht bereit sind, Dienstreisen oder einen Umzug zu machen.
Zwölf Prozent der Unternehmen erhalten auf ausgeschriebene Vakanzen praktisch überhaupt keine Bewerbungen. „IT-Experten können sich bei entsprechender Qualifikation ihren Job fast schon frei aussuchen“, so Berg.
Falsche Ansprache der IT-Spezialisten
Die Unternehmen wären aus Sicht von Berg gut beraten, die Ansprache von potenziellen Bewerbern zu verändern. So gibt eine breite Mehrheit an, dass Kandidaten sich bei ihnen per E-Mail (97 Prozent) oder schriftlich per Bewerbungsmappe (83 Prozent) bewerben können.
Nur eine Minderheit setzt dagegen auf Online-Bewerbungs-Tools (26 Prozent) oder ermöglicht die Bewerbung mit einem Mausklick aus Business-Netzwerken heraus (6 Prozent).
Gerade einmal ein Prozent nutzt Bewerbungs-Apps.
„Die Unternehmen müssen ihre Bewerbungsverfahren dringend an die digitale Welt anpassen. Um sich ein Bild von einem Software-Entwickler zu machen, hilft ein ausgedrucktes Anschreiben mit Zeugnissen und Arbeitsproben wenig. Eine knappe Mail mit Links zu erfolgreichen Projekten und deren Quellcode auf entsprechenden Plattformen ist da viel aussagekräftiger“, sagte Berg.
Mehr Bedeutung fürs Active Sourcing
Die Personalsuche wird sich in den kommenden Jahren stark verändern. So gehen 70 Prozent der Unternehmen davon aus, dass das sogenannte Active Sourcing in den nächsten fünf Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen wird. Dabei suchen die Unternehmen gezielt zum Beispiel in Business-Netzwerken oder auf Online-Plattformen nach geeigneten Kandidaten und schreiben diese an.
Ebenfalls wichtiger werden Kooperationen mit Hochschulen (59 Prozent), Headhunter und Personalvermittlungen (58 Prozent), Karrieremessen (54 Prozent), Online-Stellenbörsen (52 Prozent) sowie Business-Netzwerke (51 Prozent).
Dagegen werden klassische Kanäle zur Mitarbeitersuche wie die Printausgabe von Zeitungen (84 Prozent) oder Fachmagazinen (76 Prozent) ebenso an Bedeutung verlieren wie die Arbeitsagentur (42 Prozent) und die Online-Ausgaben von Tages- und Wochenzeitungen (36 Prozent).
Maßnahmen gegen IT-Fachkräftemangel
Der Bitkom-Verband fordert ein rasches und entschiedenes Handeln gegen den Mangel an IT-Spezialisten. Dazu gehört, deutlich mehr junge Menschen und vor allem Frauen für ein Informatik-Studium oder eine IT-Ausbildung zu gewinnen und die Abbrecherquote an den Hochschulen zu senken.
„Die Bildungspolitiker haben sich seit Jahren den Forderungen nicht nur des Bitkom, sondern aus der ganzen Wirtschaft nach einem Schulfach Informatik im Fächerkanon verschlossen. Der Mangel an IT-Experten auf dem Arbeitsmarkt ist die Quittung“, sagte Berg.
„Wir brauchen jetzt Informatik an den Schulen, flächendeckend.“ Zugleich sollten neue Bildungsangebote ausgebaut werden, die schnell aktuelles Wissen vermitteln und zum Beispiel zu Nanodegrees oder Mikrozertifikaten führen.
Und die IT-Weiterbildung in den Unternehmen müsse forciert werden, etwa durch steuerliche Anreize.
Als kurzfristige Maßnahme empfiehlt Bitkom Flexibilisierungen im Arbeitsrecht zu erlauben, zum Beispiel indem die Möglichkeit geschaffen wird, dass IT-Spezialisten im Rahmen einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit ihre Arbeitszeit frei einteilen können.
Zudem sollte die Digitalbranche dringend von den Neuregelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ausgenommen werden. Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass Unternehmen weniger auf externe Spezialisten zurückgreifen können oder externe Teams in laufenden Projekten austauschen müssen.
Jedes sechste Unternehmen (17 Prozent) sagt, dass die Novelle der Arbeitnehmerüberlassung das eigene Fachkräfteproblem weiter verschärft hat. Und 16 Prozent geben an, dass es ihnen nicht gelungen ist, Freelancer oder freie Mitarbeiter fest anzustellen. „Die Neuregelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sollten Lohndumping und prekäre Arbeitsverhältnisse verhindern. Doch was für Schlachthöfe und Friseursalons mit Niedriglöhnen passen mag, belastet hochqualifizierte und gut bezahlte IT-Freelancer, für ihre Kunden kann es verheerend sein.“
Zur Methodik:
Im Auftrag des Bitkom hat Bitkom Research 856 Geschäftsführer und Personalleiter von Unternehmen ab drei Mitarbeitern aller Branchen (ohne Landwirtschaft und öffentlichem Sektor) befragt. Die Umfrage ist repräsentativ für die Gesamtwirtschaft in Deutschland.