Der Kräuterzwerg aus den Bergen
Der Almdudler ist dem Österreicher, was die Cola dem Amerikaner ist. Mit 19 stolperte Thomas Klein an die Spitze des Familienbetriebs. Fast wäre er an dieser Aufgabe zerbrochen.
Marianne und Jakob tanzen am kleinen Finger des Mannes, der sie groß gemacht hat. Thomas Klein trägt einen goldenen Siegelring, der ihm sehr viel bedeutet und der viel über ihn verrät. Wenn der 47-Jährige mit seinen Händen fuchtelt, was er gerne tut, dann wedelt auch das Trachtenpärchen durch die Luft. Das ist der Maskottchentanz.
Das bullige Schmuckstück ist ein Vermächtnis. Sein Vater trug es bis zu seinem Tod jeden Tag. Der Sohn hat nicht nur diesen Ring übernommen, sondern auch – obwohl er anfangs nicht wollte – Almdudler. Und aus dieser wenig prickelnden Brause eine Kultmarke gemacht. Almdudler hat in Österreich einen Bekanntheitsgrad, wie ihn ansonsten nur noch der Herrgott in der streng katholischen Alpenrepublik zustande bringt.
Mehr als eine Limonade
Annähernd 100 Prozent der Österreicher kennen die Marke. Almdudler ist Nationalgetränk. Und dabei hat Klein, der heute Aufsichtsratschef ist, nach moderner Managementtheorie eigentlich alles falsch gemacht. Denn wegen des Inhalts allein würde die Limonade wohl kaum jemand trinken.
Almdudler ist billig und einfach herzustellen: Zucker, Wasser, ein paar Kräuter zusammenschütten, umrühren, abfüllen, fertig. Zudem gibt es bis heute nur ein einziges Produkt, mal mit Zucker, mal mit Süßstoff, und wer mag, mischt mit Aperol oder Bier. Nichts für Gesundheitsjünger. „Die Verteufelung des Zuckers ist nicht korrekt“, sagt Klein, und zieht seine Augenbrauen diabolisch nach oben. Er flucht gerne. Auch wegen Anti-Aussagen wie dieser ist Almdudler Kult.
Aus Klein spricht die Unbekümmertheit eines Unternehmers, der nie einer werden wollte, sondern Schauspieler, der mit 19 Jahren an die Firmenspitze stolperte, weil der Vater plötzlich verstarb und dessen Erbe gerettet werden musste. Der trotzdem über sich hinauswuchs – und daran fast zerbrochen wäre.
Das Almdudler-Oberhaupt sitzt, den Mund voll markiger Sprüche, am Steuer seines rubinroten Jaguars, Baujahr 1957, unter der Haube 240 PS, ordentlich Wumms und keine Anschnallgurte. 1957 ist das Jahr, in dem sein Vater die österreichische Seele erstmals in Limoform goss, 32 Alpenkräuter hinzufügte und 250 konkurrierende Firmen überredete, seine Kräuterbrause in Lizenz zu produzieren. Jahrelang gab es in den nationalen Weinstuben nichts weiter als Wein, Soda und Almdudler. Klein sagt: „Wenn ich zum Heurigen fahre, bekomme ich immer noch fast einen Herzinfarkt vor Glück und Freude.“
Das Ausland im Blick
Klein entscheidet selten rational, er nimmt sich seine Freiheiten und hat auch gerne frei. Statt zu netzwerken geht er mit dem Hund spazieren. Er wurde depressiv, schmiss seinen Job an der Unternehmensspitze und schrieb ein Tabu-Buch über seine Krankheit. Derzeit bereitet Almdudler den Angriff auf den deutschen Markt vor.
Platzhirsch Bionade mit Getränkemulti Richard Oetker im Rücken hätte die Macht, den alpinen Winzling zu verhindern. Doch Klein ist siegesgewiss. So turnt er derweil als Clown verkleidet durch Kinderkrankenhäuser oder organisiert Kostümbälle. Oetker kann ihn nicht schrecken, denn selbst schon Coca Cola hat in Österreich kapitulieren und die Übermacht Davids anerkennen müssen.
Mittagessenzeit. Der Almdudler-Kapitän saust auf den Parkplatz eines Gasthofs. Sein goldener Schneidezahn blinkt im Sonnenlicht. Er bestellt Fischstäbchen. „Ich liebe Fischstäbchen“, sagt Klein. Dazu wird wie immer ein Almdudler gereicht. Es ist Kleins sechste Flasche heute. Ein halbes dutzend Mal ein halber Liter Brause, das macht drei Liter am halben Tag.
Als sein Eis mit Schlagoberst zum Nachtisch kommt, hat er noch immer nicht ausgetrunken. „Ich schaff’s einfach nicht mehr“, sagt Klein. Sein Geschäftsführer Gerhard Schilling gluckst über einem Klumpen Kaiserschmarrn. „Das, Thomas“, sagt er, „hat es ja noch nie gegeben“.
Es gibt so manche Dinge, die Thomas Klein macht, die es so noch nie gegeben hat.
Coca-Cola zum Beispiel machte er zum Vertriebspartner. Nachdem die US-Limovariante namens „Kräuterlift“ nichts gegen die Übermacht seiner 32 Bergkräuter hatte ausrichten können, klopfte der Rivale aus Übersee nach dem Tod von Klein senior wieder an und versuchte, um die Übernahme zu schachern. Von Nationalgetränk zu Nationalgetränk sozusagen. Gegen die braune Brause habe der Zwerg aus den Bergen doch ohnehin keine Chance, hieß es. Und mit dem neuen Chef, völlig grün hinter den Ohren und naiv wie Schneewittchen, erst recht nicht.
Partnerschaft statt Übernahme
Das reizte Klein. Und so zog er, statt begeistert einzuschlagen, die Zugbrücke hoch. Er besann und beratschlagte sich, er horchte in sein Unternehmen hinein und hörte auf den Rat seiner überschaubaren 22-köpfigen Mitarbeiterschar, er dachte an die Sache mit der österreichischen Volksseele, die im Gedenken an den Vater in der blass-ockerfarbenen Limo ewig fortleben sollte. Er brauchte nicht lange, um die Parole auszugeben: „Almdudler ganz oder gar nicht.“
Der Aus-Versehen-Unternehmer zog mit bunten Schals, rosa Hemden und umgeben von der Aura eines Blumenkindes in den Kampf gegen die Nadelstreifen-Armada von Coca-Cola. Mit weichen Knien und flattrig wie seine Halstücher. Doch Schrägheit schlug Konzernarroganz und Klein dem Gegner ein saftiges Schnippchen.
Klein bot, nachdem man zu keinem Ergebnis kam, nach tage- und nächtelangen Sitzungen einfach die Kooperation an. Coca- Cola kapitulierte – und füllt seither Almdudler ab. „Ich halte Wettbewerb für nicht schlecht“, sagt Klein und verzieht dabei das Gesicht, als habe man ihm auf den Fuß getreten. Das ist der eine Klein.
Die Schattenseite des Erfolgs
Der andere Klein gibt zu: „Ich war überfordert hoch zehn.“ Vielleicht auch deshalb verlässt er im Jahr 2004 Knall auf Fall die Geschäftsführung und wechselt in den Aufsichtsrat. Vor allem aber ging er, weil er krank war. Die Diagnose: schwere Depression.
Der Druck, das viele Reisen, es folgten Erschöpfungszustände. Am Ende war ihm einfach alles zu viel. Und schließlich, sagt Klein, werde man auch betriebsblind. „Der Pioniergeist war weg, der Wunsch, Almdudler weltweit bekanntzumachen.“ Also trat er ab.
„Erfolgreiche Unternehmer nehmen sich die Freiheit von Gedanken und Werken“, urteilt Thomas Plötzeneder, der Almdudler seit Jahren berät. „Nach über 20 Jahren an der Unternehmensspitze“, sagt er, „hat man ein gewisses Grundbedürfnis nach weniger Alltag.“
„Es macht mir wieder viel mehr Spaß als in den operativen Jahren“, sagt Klein. Er hat jetzt die Flexibilität, die er sich immer gewünscht hat und keine Termine mehr vor neun Uhr. Lieber noch nach zehn. Jeden Morgen meditiert er, läuft mit seinem Hund und gönnt sich mindestens zwei Stunden, um in die Gänge zu kommen. „Geregelt geht bei mir nicht“, sagt Klein. Er hat heute viel Zeit zu erzählen, wie wenig Alltag er hat.
Ganz so reibungslos, wie Klein gerne glauben machen möchte, verlief der Abschied vom Alltag allerdings nicht. „Das Loslassen“, sagt er selbst, „ist etwas sehr Schwieriges.“ Die Zusammenarbeit mit einem Geschäftsführer war er zudem nicht gewöhnt. Zumal erst einmal einer gefunden werden musste.
„Ich bin über alles informiert, außer über die Details“
Verwandte empfahlen der Familie Gerhard Schilling. Bei einem gemeinsamen Abendessen spürte Klein, dass ihm der richtige Mann gegenüber saß. Gleiche Wellenlänge, Familienmensch, sympathisch. Mutter und Schwester baten, noch eine Nacht über die Entscheidung schlafen zu dürfen. Klein war für Tabula rasa. Nach der kürzesten Aufsichtsratssitzung der Firmengeschichte vor den Toiletten des Lokals bekam Klein seinen Willen und Schilling den Job. Einstimmig.
Heute verstehen sich die Kleins als „aktive Eigentümerfamilie“ mit Klein als Aufsichtsratschef. Für Schilling ist das häufig eine verzwickte Angelegenheit. „Man muss lernen, mit Thomas und seinen Freiheiten, die er sich als Eigentümer nimmt, umzugehen“, sagt der Geschäftsführer. Er sei „terminlich schwer einplanbar“. „Ich bin über alles informiert, außer über die Details“, sagt Klein. Es reicht, über die großen Linien Bescheid zu wissen.
Expansion statt Diversifikation, heißt eine davon. So nennt Geschäftsführer Schilling das. Bislang reüssiert die Brause vor allem in Österreich. Nur 14 Prozent des Gesamtabsatzes werden in Auslandsmärkten abgefüllt und vertrieben. Jetzt will Schilling nach Deutschland. In fünf Jahren soll der Absatz bei den Nachbarn genauso hoch sein wie daheim, rund 65 Millionen Liter. Das wird allerdings nicht so einfach, bei den Nachbarn gibt es mit Bionade bereits eine Kräuterlimonade, die ihre Vormachtstellung mit Klauen und Zähnen verteidigt. Klein sagt sich, gegen Coca-Cola habe man gesiegt, warum also nicht gegen Bionade, und findet deshalb gut, was Schilling macht. Friede, Freude, Palatschinken.
Dabei ist die neue Linie irgendwie gegen die Familientradition. Klein senior setzte anders als Schilling auf Diversifikation statt auf Expansion. Machte neben seinen Almdudler-Aktivitäten auch in Sodawasser, hatte mal ein Kino, mal ein Senfgeschäft und betrieb Import-/Exporthandel mit Rattanmöbeln.
Viel Leben neben der Firma
Wie sein Vater hat sich deshalb auch Klein, der Einzelgänger, der Freigeist und Querkopf, andere Projekte gesucht. Noch immer bestimmt das Unternehmen sein Leben, klar, dann aber gibt es noch den Trachtenpärchenball im Rathaus, den er alljährlich veranstaltet und auf dem er auch immer selbst verkleidet ist, zuletzt als Almwiese.
Aber vor allem ist da noch das Buch, das er geschrieben und in dem er autobiografisch die 15 Jahre seiner psychischen Erkrankung aufgearbeitet hat. Depression, unter Managern ein Tabuthema, vor allem wegen der damit eingestandenen Unzulänglichkeit. Man redet nicht darüber. Klein tut es. Mit Wonne. „Das Buch soll Hoffnung machen, aber auch dafür sorgen, einen Depressiven nicht mehr wie einen Verrückten zu behandeln.“
Klein hat auch eine Ausbildung zum Clown gemacht. Als solcher zieht er durch die Spitäler, tritt vor kranken Kindern auf, mit roter Nase und einem Grinsen, breit wie das von Kermit, dem Frosch. Er ist in seinem Element. Manche finden das schräg. Klein selber auch. Und hat die Begründung dafür auch gleich mit parat. „Ich werde“, sagt er, „als schräg empfunden, weil ich authentisch lebe.“
VITA
Thomas Klein wird in Wien als Sohn von Ingrid und Erwin Klein, den Gründern der Limonadenmarke Almdudler geboren. Die Firma ist bis heute in Familienbesitz.
Mit 15 Jahren bricht er das Gymnasium ab, um zunächst eine Ausbildung an der Hotelfachschule zu absolvieren. Die Mutter will es so, um zu verhindern, dass er Schauspieler wird.
Nach dem Tod seines Vaters übernimmt Klein 1983 mit 19Jahren den Posten als geschäftsführender Gesellschafter. Weder die Mutter noch die Schwester, die heute eine. Vinothek betreibt, drängen an die Spitze.
Überraschend zieht sich Klein 2004 aus dem operativen Geschäft zurück und wechselt als Vorsitzender in den Aufsichtsrat von Almdudler.
In seiner Autobiografie, die im Sommer 2010 erscheint, setzt er sich mit seiner psychischen Erkrankung (Depression) auseinander, mit der er seit 15 Jahren lebt – in Managementkreisen ein Tabubruch.
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