Warum Recruiter an Bewerbern vorbeireden
90 Prozent der Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel. Nicht einmal jeder zweite Betrieb hat systematische Lösungen, zeigt eine neue Studie. Was Recruiter tun können.
1,46 Millionen. So viele offene Stellen gibt es hierzulande, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg berechnet. Mit dem wachsenden Fachkräftemangel wird auch die Arbeit für die Personaler immer aufwändiger. Eine strategische Personalarbeit sollte in deutschen Unternehmen deshalb Pflicht sein.
Eigentlich. Denn die Realität in deutschen HR-Abteilungen sieht anders aus. In 56 Prozent der Unternehmen gibt es keine systematische Mitarbeiterplanung. Annahmen über mögliche Personalengpässe, Planungen zu Fluktuation und Pensionierungen? In mehr als jedem zweiten Betrieb Fehlanzeige.
Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie der Jobseite Indeed und des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln. „Viele Unternehmen lassen sich ohne strategische Planung enormes Potenzial entgehen“, sagt KOFA-Arbeitsmarkt-Expertin Anika Jansen.
Tue Gutes und sprich darüber: Dienstwagen und Jobticket locken Fachkräfte an
Das Verhalten der Unternehmen verwundert, sind ihre Klagen doch groß – und zwar in Unternehmen aller Größe. In 90 Prozent der befragten Firmen ist der Fachkräftemangel ein Thema. Und 41 Prozent sehen diese Probleme gar als existenziell für ihr Fortbestehen an. Insbesondere in der IT-Branche suchen Recruiter händeringend gute Leute.
Für die Erhebung werteten die Autoren Daten von Indeed zu Online-Stellenanzeigen aus. Zudem befragten sie die Personalverantwortlichen von 420 Unternehmen.
Die Studienergebnisse zeigen, dass viele Firmen für besonders stark gesuchte Talente auch spezielle Leistungen anbieten: Sie unterstützen beim Umzug, bieten flexible Arbeitszeiten und einen Dienstwagen oder zahlen das Jobticket. Für Bewerber können das die entscheidenden Anreize sein, sich für den Job zu bewerben.
Das Problem: Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen kommunizieren viele Recruiter nicht, welche Vorteile Fachkräfte in ihrem Haus genießen. Nur jedes vierte befragte Unternehmen zeigt diese Anreize öffentlich, etwa in der Stellenanzeige. Eine entgangene Chance. „Einigen Unternehmen ist gar nicht bewusst, dass Jobticket oder Dienstwagen besondere Leistungen sind“, sagt Annina Hering, Economist bei Indeed.
Provinziellen Auftritt vermeiden: Talente stehen auf moderne Umgangsformen
Kostenpflichtige Stellenanzeigen auf Online-Stellenbörsen wie Stepstone oder Indeed sind der Studie zufolge der meistgenutzte Recruiting-Kanal: Acht von zehn Unternehmen nutzen diese Strategie. Regional gibt es aber deutliche Unterschiede. Gerade in der Provinz schreiben Firmen ihre Stellen seltener online aus.
Ein doppeltes Problem. Denn „ländliche Regionen sind für viele Arbeitnehmer ein unattraktiver Standort“, sagt Hering. Und wenn die Firma dann erst gar nicht in der Jobsuche auftaucht, gingen viele Bewerber verloren. Die Erklärung der Expertin: Gerade kleinere Betriebe würden nicht die Zeit investieren, um die Online-Bewerbung einfach mal auszuprobieren.
Auf Resignation verzichten: Wer nicht mehr nach Fachkräften sucht, der kann nur verlieren
Resigniert haben ohnehin schon fünf Prozent der Betriebe, wie die Befragung zeigt. Sie haben es aufgegeben, überhaupt nach passenden Fachkräften zu suchen, weil sie in den vergangenen Jahren keine geeigneten Mitarbeiter mehr gefunden haben.
Dabei können Recruiter mit verschiedenen Maßnahmen versuchen, passende Leute zu finden. Wer mit einer Online-Stellenanzeige wirbt, sollte die Jobbeschreibung auf die Zielgruppe zuschreiben. Der Tipp mag trivial erscheinen, oftmals befolgen ihn die HR-Abteilungen aber nicht.
Was auch sinnvoll ist: Beteiligungen an Jobmessen oder Kooperationen mit Hochschulen, um Praktikanten oder Werkstudenten zu finden. Recruiter sollten auch versuchen, mit ihrem Unternehmen eine Marke aufzubauen – zum Beispiel durch einen eigenen Social-Media-Account. Auch das kann die Zahl der Bewerbungen steigern.
Neuen Standort eröffnen: So lässt sich das Image aufpolieren
Eine Möglichkeit, die nur 16 Prozent der Unternehmen nutzen: einen weiteren Standort in einer attraktiveren Region eröffnen, nämlich dort, wo die gesuchten Talente leben. Für Mittelständler aus der Provinz könnte das eine lohnenswerte Option sein.
Denkbar ist auch, einen Co-Working-Arbeitsplatz im städtischen Bereich einzurichten. Diese Veränderungen mögen aufwändig sein, aber Dreiviertel der befragten Unternehmen bezeichnen solche Schritte als wirkungsvoll.
Welche Maßnahmen die HR-Abteilungen auch immer ergreifen: „Eine Patentlösung gibt es nicht. Da muss jedes Unternehmen individuell nach Möglichkeiten suchen“, sagt Kofa-Expertin Jansen.
Die Klientel identifizieren: Welcher Typ sucht auf welchem Kanal?
Die nächsten Schritte hängen zum Beispiel davon ab, welche Relevanz Online-Stellenanzeigen haben. Bewerber aus klassischen Berufen, Steuerfachangestellte etwa, suchen noch häufig über klassische Kanäle. Stellenanzeigen für Softwareentwickler klicken Bewerber aber nur in neun Prozent der Fälle an – die Jobsuchenden bevorzugen hier eben andere Wege. Und darauf sollte sich die HR-Abteilung einrichten.
Auch die Region spielt eine Rolle. So bieten qualifizierte Erwerbslose in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ein großes Recruiting-Potenzial. Das trifft etwa auf Nordrhein-Westfalen stärker zu als auf Bayern, wo vielerorts Vollbeschäftigung herrscht. In dem südlichen Bundesland müssen Recruiter eher Arbeitskräfte überzeugen, die bereits einen Job haben – zum Beispiel durch gute Arbeitsbedingungen.