Arbeitsplatzgestaltung: Auf den Spuren von Google

Eigenwillige Innenarchitekturen und moderne Work-Spaces prägen die Großraumbüros von heute. Manche gleichen Spielplätzen oder Freizeitparks. Der Sinn dahinter: Kreativität soll geweckt und Produktivität gesteigert werden. Die Idee stammt aus Deutschland…

Carina Winter, Olaf Wittrock | 19.12.2023

Manchmal wundert sich Wolfgang Miazgowski. Etwa wenn ein Kunde mal wieder besonders kunterbunte Wünsche äußert. Egal. Miazgowski ist zu lange im Geschäft, um sich von extravaganten Anliegen verrückt machen zu lassen. Wenn er eine Idee total daneben findet, lehnt er sie ab. Aber meistens verlangt seine Klientel immer das Gleiche: die leicht verrückte Norm.

Miazgowski leitet den Bereich Innenarchitektur bei HPP. Die Düsseldorfer Architektenpartnerschaft hat sich auf den Entwurf von Firmenhauptquartieren spezialisiert.

HPP plante Großprojekte wie den BASF-Standort in Ludwigshafen, Gebäude mehrerer Banken und Versicherer, die deutsche Microsoft-Zentrale, das neue Innenleben im Hauptgebäude der Metro-Zentrale. Und in der chinesischen Millionenstadt Hangzhou baut HPP derzeit die neue Zentrale des Internetkonzerns Alibaba.

Direkter Einfluss auf die Produktivität

Seit gut 20 Jahren entwickelt Miazgowski Bürolandschaften, Raumaufteilungen, Möblierungen. Und wundert sich, dass viele Bauherren neuerdings auffällig oft nach dem Immergleichen verlangen, sobald sie von einer Geschäftsreise aus den USA heimkehren: „Büroräume à la Google“.

Aber warum machen sich Unternehmen überhaupt so viele Gedanken über die Inneneinrichtung? Laut einer Umfrage des Industrieverbands Büro- und Arbeitswelt (IBA) sind sich 78 Prozent der Arbeitnehmer sicher, dass die Arbeitsplatzgestaltung ihre Produktivität direkt beeinflusst. Und tatsächlich: Wohlbefinden im Büro zu schaffen, das sei für Arbeitgeber ein wichtiger Hebel, um sich beliebt zu machen, sagt Udo-Ernst Haner vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

Außerdem erleichterten Rückzugsorte das konzentrierte Arbeiten in der geforderten hohen Geschwindigkeit. Spielmöglichkeiten wiederum regten zum Austausch und zur Bewegung an. Und unterschiedlich gestaltete Arbeitszonen würden die Mannschaft auf neue Gedanken bringen.

Ideales Arbeitsumfeld für moderne Kreativarbeiter

Kurzum: Eine schöne Inneneinrichtung zielt darauf ab, dass Mitarbeiter kreativer sind – und womöglich gerne auch mal etwas länger im Büro bleiben, ohne auf die (Stech-)Uhr zu schauen. „Arbeitgeber können nicht verlangen, dass Mitarbeiter innovationsorientiert und flexibel arbeiten, ihnen dann aber eine Umgebung anbieten, in der sie von 9 bis 17 Uhr brav an einem Tisch im Büro sitzen“, sagt Haner.

Amerikanische IT-Konzerne haben nicht nur zahlreiche Branchen und Geschäftsmodelle aufgemischt. Sie prägen auch die Vorstellung davon, wie das ideale Arbeitsumfeld für moderne Kreativarbeiter heutzutage auszusehen hat.

Die schrillbunten Google-Büros in Hamburg (2001) etwa setzten in Deutschland einen neuen Standard für Innenarchitektur: für die Verwandlung des Büros in eine Art Freizeitpark und Spielplatz – mit Tischtennisplatten, Golfteppichen, Ruhezonen und weiten, offenen Räumen, die dem Inneren eines Hallenbades nachempfunden sind, einer U-Bahn oder einer Kajüte.

Mit einer Idee vom kalifornischen Start-up-Spirit

Google wird auch seiner angenehmen „Work-Spaces“ wegen als Arbeitgeber geschätzt. Kein Wunder, dass deutsche Unternehmen ebenfalls versuchen, mit eigenwilligen Innenarchitekturen aufzufallen.

Dass sie von verrückten Arbeitswelten träumen, von Kletterwänden und Hängematten, von Bällebädern und Konferenzen in der Skigondel. Die Realität fällt am Ende meist ein bisschen braver aus als der kühne Entwurf. Aber auch in neuen deutschen Bürolandschaften steckt eine Idee kalifornischer Start-up-Spirit.

Die Deutsche Telekom hat ihre Konzernzentrale fit gemacht für das, was man „Future Work“ nennt. Es gibt keine Zellenbüros mehr, sondern jede Menge Kreativräume. Im Innenhof stehen „Foodtrucks“ für Kantinenmuffel – und wer sich fit halten will, kann sich ein „Desk Bike“ ausleihen, ein tragbares Ergometer für die Radelrunde am Schreibtisch.

Prise Extravaganz gehört dazu

Eines von Miazgowskis jüngsten Projekten war der Entwurf einer neuen Deutschlandzentrale des französischen Kosmetikherstellers L’Oréal. Das 60 Meter hohe Haus heißt Horizon; es wirkt mit seinen hin und her springenden Geschossen und seiner rundum verglasten Fassade modern, aber nicht sonderlich ambitioniert. Im Innern der wie Bauklötze lässig aufeinander gelegten Etagen aber hat es umso mehr zu bieten.

Die Büroflächen sind offen; es gibt kein Einzelbüro, keine Türen und Wände lediglich aus Glas. Alles drückt hier Transparenz und Demokratie aus; selbst die acht Geschäftsführer arbeiten mittendrin. Die Möbel erstrahlen in Weiß und hellen Cremetönen; es gibt Stille-Bereiche und auf zwölf Etagen 81 Thinktanks – kleine, abgeschottete Räume für konzentrierte Arbeit. Dazu eine Bibliothek, mehrere Terrassen und Lounge-Zonen mit Möbeln wie aus einem Metropolen-Café.

Außerdem hat sich der Kosmetikkonzern noch eine Prise Extravaganz in Form zweier Konferenzräume gegönnt. Sie sind der deutsch-französischen Freundschaft gewidmet, schwarz-rot-gold der eine, blau-weiß-rot der andere, und „kommen gerade bei internationalen Geschäftsleuten gut an“, sagt Miazgowski: „So demonstriert das Unternehmen seine Internationalität.“

Grenze zwischen Arbeitsplatz und Wohnzimmer verwischt

Ursprünglich habe auch L’Oréal nach dem Vorbild Google eine Skigondel oder auch einen alten VW-Bus integrieren wollen. Doch das fand Miazgowski unpassend. Er riet L’Oréal davon ab – und setzte sich durch.

Was steckt hinter dem Trend? Der britische Büroarchitekt Francis Duffy hat auf diese Frage schon 1997 in seinem Buch „The New Office“ eine Antwort versucht und zunächst einmal festgestellt: Die Grenzen zwischen Büro und Wohnzimmer verwischen. Eine klare Unterscheidung zwischen Zuhause und Arbeitsplatz sei „lediglich noch eine kulturelle Konvention“, sagt Duffy: „Und zwar eine längst überholte.“

Der Arbeitsplatz ist ein Spiegelbild unserer Arbeitswelt. Heute kommt es eben nicht mehr auf die Leitz-ordentliche Pflichterfüllung von dienstbereiten Angestellten an. Sondern auf die Schaffung eines Umfeldes, in dem die Kreativität und das Wissen von hochbezahlten Geist-Arbeitern miteinander vernetzt sind. Und daher ist es laut Duffy kein Wunder, dass Büroflächen nicht mehr auf die Bewältigung von Routinetätigkeiten ausgerichtet sind, sondern vor allem auf Interaktion.

Informelle Bürolandschaften

Die Idee einer informellen Bürolandschaft stammt übrigens aus Deutschland. Das Quickborner Team um den Organisationsberater Eberhard Schnelle wollte bereits Ende der Fünfzigerjahre offene und frei fließende, möglichst nicht rechtwinklige Grundrisse für Büros nutzen, schwärmte von flexiblen und anpassungsfähigen „Lebenswelten“ für die Beschäftigten – ein krasser Bruch mit der damaligen Konvention schachbrettartig gefüllter Großräume.

Entsprechend führte Duffy, einer der Gründer des Londoner Architekturbüros DEGW, das Wort „Bürolandschaft“ ins Englische ein. Das, was er unter „New Office“ versteht, sieht er in einer Linie mit den revolutionären Entwürfen des Quickborner Teams.

Allein, revolutionär ist heute gar nichts mehr – und das Ausgefallene längst selbst zur Norm geworden. Es entstehen lauter Bürogebäude und -räume, die unangepasst sein wollen – und sich in ihrem unbedingten Willen nach Andersartigkeit stark ähneln. Denn am Ende sollen die Architekten immer wieder den gleichen Selbstbildern der Konzerne Kontur verleihen.

Botschaft der Weltläufigkeit

Da ist etwa das Statement der Durchsichtigkeit: Große Komplexe sind nicht mehr ehrfurchtgebietend, durch Mauern von der Außenwelt abgeschirmt, sondern einladend gestaltet, für jedermann zugänglich – so wie die in Anlehnung an ein Hochschul-Quartier Campeon genannte Zentrale von Infineon bei München oder der Vodafone-Campus in Düsseldorf.

Im Inneren setzt sich die Botschaft der Weltläufigkeit und Offenheit meist in weitläufigen Großraumbüros ohne feste Sitzplätze fort, die mit bunten Lounges und Café-Ecken aufgelockert werden, optional durch sogenannte Silent-Bereiche ergänzt und mit einem gewissen Maß an Kunst verziert – das gibt es nicht nur bei L’Oréal und der Telekom, sondern beispielsweise auch bei Adidas, BMW, Lufthansa, Siemens und der Deutschen Bank.

Zu den Optionen gehören Einrichtungsgegenstände wie ein Beer-Pong-Tisch für das Trinkspiel nach getaner Arbeit, etwa bei der Fintech Group in Frankfurt. Ein 4000 Quadratmeter großes Fitnessstudio bei Adidas in Herzogenaurach. Oder auch der Entspannungsraum mit Liegen und Massagesessel bei Unilever in Hamburg.

Kalorien zählen beim Treppenaufstieg

Scott Witthoft und Scott Doorley vom Hasso Plattner Institute of Design in Stanford zeigen sich in „Make Space“ (2012) sicher: Je außergewöhnlicher die Büroeinrichtung und je anregender die Farbgestaltung, desto kreativere Ideen entstehen. Das legen auch Laborexperimente nahe. Im Jahr 2014 gewannen Marily Oppezzo und Daniel Schwartz von der Stanford-Universität zufällig ausgewählte Personen für Kreativitätstests. Einige saßen in einem spärlich ausgestatteten Zimmer vor einer weißen Wand, andere durften auf dem Laufrad denken oder spazieren gehen. Das Ergebnis: Körperliche Bewegung förderte die gedankliche Flexibilität. Im Gehen hatten die Testpersonen bis zu 400 Prozent mehr Einfälle als im Stehen.

Sportgeräte im Büro dienen also der Mitarbeiter-Optimierung, genauso übrigens wie schön hergerichtete Treppenhäuser, die die Angestellten buchstäblich dazu bewegen sollen, den Aufzug zu meiden. Auch das lässt sich bei L’Oréal begutachten, wo auf vielen Treppenstufen steht, wie viele Kalorien man gerade verbrennt.

Köder für die Besten

Architekt Miazgowski ergänzt, dass sich die schönen vier Wände auch positiv auf Firmenimage und Budget auswirken: „Unternehmen wollen die Besten der Besten“, und die ließen sich von modernen Innenstadtbüros halt eher locken als von alten Büros am Stadtrand. Zum anderen seien in Zeiten von Home Office und flexiblen Arbeitszeiten klassische Schreibtischplätze im Schnitt nur zu 60 Prozent besetzt.

Auf die Macht der schönen Räume setzt auch Rewe Digital. Die Digitaltochter der Supermarktkette hat im Kölner Stadtteil Mülheim das Carlswerk, ein ehemaliges Kabelwerk auf dem Gelände eines früheren Industrieareals, zum Bürogebäude umgebaut – fernab der Rewe-Konzernzentrale auf der anderen Rheinseite.

Dort bietet das Unternehmen neuerdings Themenflächen an. Ein Büroabschnitt ist im Werkstatt-Flair eingerichtet, ein anderer wie eine Wohnung, in einem dritten kleben Sterne an den Wänden, „ganz so, wie die Teams es für richtig halten“, sagt Rewe-Digital-Chef Christoph Eltze, „um sich bei ihrer Arbeit rundum wohlzufühlen“.

Zuerst veröffentlicht auf wiwo.de