Arbeitsmarkt in der Krise: Welche Jobs durch die Pandemie gefährdet sind – und welche nicht
Arbeitsmarktforscher Enzo Weber fürchtet über drei Millionen Arbeitslose.
Wohin führt der Weg? Für viele Angestellte wird es nicht einfach: Die Arbeitsmarktlage ist äußerst schwierig, jetzt ist Tatkraft gefragt. © Karriere Foto: imago images / Westend61
Die Worte, die Enzo Weber wählt, zeigen die Dramatik der Krise. Die Pandemie sei ein „gigantischer Schock“, sagt der Forscher, weitaus größer als noch bei der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009. Weber ist Leiter des Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg und Professor an der Universität Regensburg.
Er rechnet damit, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr zwischenzeitlich auf mehr als drei Millionen steigen wird. Schon im April war die Arbeitslosenzahl infolge der Krise außerordentlich kräftig um saisonbereinigt 373.000 gestiegen – auf über 2,6 Millionen.
Dass diese Zahl nicht noch viel höher springt, ist der Kurzarbeit zu verdanken. Jede dritte Firma hat sie beantragt, insgesamt sind 10,21 Millionen Beschäftigte betroffen.
Die Zahlen zeigen: Die Corona-Pandemie ist nicht nur ein Stresstest für die Weltwirtschaft, sondern auch für die Arbeitsmärkte. Weltweit könnten laut der Internationalen Arbeitsorganisation in diesem Jahr 305 Millionen Menschen arbeitslos werden.
Auch in Deutschland werde zum ersten Mal seit vielen Jahren die Arbeitslosigkeit wieder steigen. Das Verheerende an der Pandemie: „Sie hat alle Wirtschaftsbereiche erreicht“, sagt Weber.
Stellenverluste: Vor allem Geringverdiener betroffen
Das Institut für Weltwirtschaft hat in einer Studie die Arbeitsmarktfolgen der Pandemie für Schleswig-Holstein untersucht. Demnach droht gerade Geringverdienern der Stellenverlust.
Für IAB-Arbeitsmarktexperte Weber sind die Ergebnisse auf die gesamte Republik übertragbar. „In den besonders stark von Betriebsschließungen betroffenen Branchen arbeiten überproportional viele Geringverdiener“ – egal ob Friseure, Kellner, Reinigungs- oder Servicekräfte.
Entsprechend bedroht sind in diesen Branchen die Arbeitsplätze. Für Weber stehen vor allem Gastgewerbe, Messen, Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen sowie der Verkehrssektor und Tourismus ganz oben auf der Gefahrenliste.
In der Industrie, vor allem im Produzierenden Gewerbe, hingegen werde laut Weber die Krise auf dem Arbeitsmarkt weniger stark ausfallen, dafür aber länger anhalten. Das zeige die Erfahrung: Selbst 2010, ein Jahr nach der Finanzkrise, sei noch ein Drittel des Kurzarbeitsniveaus von 2009 verblieben, obwohl die Wirtschaft schon wieder durchstartete.
Das liegt an der globalen Ausrichtung der Branche, die Welt erholt sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit.
Gefährdet sind in der Coronakrise auch die rund 6,7 Millionen Minijobber im gewerblichen Bereich. Weil sie nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert sind, haben sie auch keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Das IAB rechnet damit, dass kurzfristig Hunderttausende Minijobs verschwinden.
Auch in der Luftfahrtbranche befürchtet Weber steigende Arbeitslosenzahlen. „Es könnte auch langfristig weniger Geschäftsreisen geben, wenn man für Termine auf Videokonferenzen ausweicht.“
Strukturveränderungen: Aufschwung hilft nicht überall
Und wer einmal gefeuert ist, findet in Deutschland weniger leicht zurück in den Arbeitsmarkt. In Phasen des Abschwungs steigt die Arbeitslosigkeit konjunkturell an, sinkt im Aufschwung aber nicht auf das vorherige Maß ab, da sich monatlich etwa zehn Prozent strukturell verfestigen, wie Studien zeigen.
So sind durch die Krisen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vor allem Helferjobs verschwunden, die einst die größte Gruppe der Arbeitsplätze ausmachten.
Eine solche Verfestigung könnte sich nun wiederholen – nur diesmal für Facharbeiter mit solider Ausbildung aus der Mitte der Gesellschaft, fürchtet IAB-Experte Weber. „Die vor der Krise begonnenen Digitalisierungstendenzen werden sich auch nach dem Ende der Pandemie fortsetzen. Im Zuge dieser Transformation werden verloren gegangene Jobs nach der Krise nicht in derselben Form wieder entstehen.“
Spezialisten im Vorteil: Jobs, die bleiben
Die gute Nachricht: Einen Rückfall in die Massenarbeitslosigkeit befürchtet Weber allerdings nicht. Der hiesige Arbeitsmarkt sei nach einem zehnjährigen Aufschwung sehr robust – anders als noch vor der weltweiten Finanzkrise. „Gemessen an der Größe des Schocks sind die Folgen für den Arbeitsmarkt noch relativ moderat.“
So klagten Unternehmen vor der Krise vielfach über fehlende Fachkräfte, gerade im Ingenieurs- oder IT-Bereich. Wer die Spezialisten einmal gefunden hat, lasse sie selbst in der Pandemie nicht einfach so ziehen, sagt der IAB-Forscher. „Mitarbeiter, die schon vor der Krise knapp waren, haben nun einen Vorteil.“
Hier Krisenangebote wahrnehmen
Und wer ist in der aktuellen Krise im Vorteil? „Das sind Mitarbeiter nur in begrenzten Branchen“, sagt Weber. Wer im Supermarkt, in Apotheken, in der Medizintechnik, bei Zustelldiensten oder im Digitalbereich arbeitet, müsse sich weniger Sorgen vor dem Jobverlust machen. „Doch völlig losgelöst von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung ist niemand.“