Deutschland sucht den Super-Vertriebler
Traumhafte Zeiten für Vertriebler: Keine andere Spezies ist derzeit so begehrt auf dem Arbeitsmarkt. Und gut bezahlt dazu. Doch wer Karriere machen will, muss erst mal ordentlich Dreck fressen – so haben auch die Besten angefangen.
So was ist Personalleiter Michael Kahmeyer noch nie passiert: Da schaltet er Ende Oktober eine 8.000 Euro teure Stellenanzeige in der FAZ, gut platziert, gut gestaltet, mit gleich mehreren offenen Stellen. Doch der Rücklauf ist erbärmlich: Gerade mal neun Jobkandidaten haben eine Bewerbung geschickt. „Das ist der schlechteste Rücklauf auf eine Anzeige, den ich in meiner gesamten Zeit als Recruiter erlebt habe“, sagt Michael Kahmeyer resigniert. Noch vor vier Jahren seien auf eine vergleichbare Ausschreibung rund 60 Bewerbungen eingegangen. „Jetzt nur noch neun – das ist eine Katastrophe!“
Und beileibe kein einmaliger Ausreißer, weiß Kahmeyer. Es liegt an den Jobs, die der Personalleiter Norddeutschland beim Aufzughersteller Otis anzubieten hat: Vertriebsprofis sucht Kahmeyer, Leute mit abgeschlossenem Studium und unternehmerischem Gespür. Doch solchen Top-Kandidaten den Verkauf schmackhaft zu machen, ist schwer.
Denn unter Stellensuchern gilt der Vertrieb als immer unattraktiver: Laut einer Studie der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung sank die Zahl der Bewerber innerhalb eines Jahres um sieben Prozent. Hoher Leistungsdruck, 60-Stunden-Wochen und der ständige Wettbewerb mit den Kollegen – das mag sich längst nicht jeder antun.
Selbst schuld. Denn gute Vertriebler sind auf dem Arbeitsmarkt so begehrt wie Wasser in der Wüste: „Europas knappste Ressource derzeit“, stellt die Jobbörse Stepstone in einer Studie zum Fachkräftemangel fest. 32 Prozent der Personalmanager jammern, dass sie offene Positionen im Vertrieb nur schwer besetzen können – bei den heftig umworbenen Ingenieuren beklagen das nur 29 Prozent, bei IT-Spezialisten 23 Prozent.
Wer sich durch die Stellenteile der Tageszeitungen wühlt, der erkennt auf jeder Seite die Not der Unternehmen: „Verkaufsleiter/innen“, „Sales Manager (m/w)“ und „Vertriebsrepräsentant/innen“ können im Moment aus einer Vielzahl von Jobofferten wählen. Am heißesten begehrt sind Vertriebsingenieure, die „karierten Maiglöckchen“, wie sie Eric Wenzel von der Unternehmensberatung Adecco Human Capital Solutions liebevoll nennt. Die Kombination aus Ingenieurwissen und Vertriebskompetenz ist so beliebt, weil technisch hochgerüstete Produkte ohne fachkundige Erklärung kaum noch zu verkaufen sind.
Doch Unternehmen sind durchaus bereit, bei der technischen Qualifikation Abstriche zu machen, wenn das Talent stimmt: „Wir suchen in erster Linie Leute, die verkaufen können“, betont Michael Kahmeyer von Otis. „Aufzugtechnik bringen wir ihnen dann schon bei.“
Jobs im Hunderterpack
Wie stark der Markt angezogen hat, merkt auch die Personalberatung ArByte, die sich auf die Vermittlung von Vertrieblern in IT- und Automotive-Unternehmen spezialisiert hat. Der Geschäftsführer, Volker Rembs, zählt derzeit rund 50 Prozent mehr Stellenangebote als im Vorjahr: „Es gibt einen großen Nachholbedarf aus der Zeit, als die Konjunktur noch lahmte.“ Gleichzeitig sinkt die Zahl der Job-konkurrenten: Auf eine Vertriebsstelle bewarben sich Ende 2001 sieben Bewerber, hat die Bundesagentur für Arbeit errechnet. Ende 2005 waren es nur noch vier.
Egal ob 30-Mann-Klitsche oder Großkonzern: Ganz Deutschland sucht den Super-Vertriebler. Besonders in Pharma, Finanzdienstleistungen, Maschinenbau, IT und Telekommunikation sowie in der Automobilindustrie fahnden die Personalprofis unter Hochdruck nach den besten Verkaufstalenten. Gekleckert wird nicht: Statt ein paar Dutzend stellen die Konzerne gleich ein paar Hundert Vertriebler ein.
So sucht die Postbank Finanzberatung gerade 1.000 Berater für ihren mobilen Vertrieb. Microsoft Deutschland will im kommenden Jahr 200 neue Mitarbeiter vor allem für Vertrieb und Services einstellen. Die Nürnberger Agentur Sellbytel, die für ihre Kunden Vertriebsdienstleistungen übernimmt, plant das neue Jahr mit 600 weiteren Mitarbeitern. Und während die Allianz 5.700 Stellen abbaut, verkneift sie sich in ihrer Vertriebsabteilung lieber die Magerkur: „2007 werden wir – wie auch in diesem Jahr – etwa 1.500 Neueinstellungen im Vertriebs-Außendienst tätigen“, heißt es aus dem Versicherungskonzern.
Quereinsteiger willkommen
Traumhafte Zeiten – nicht nur für die Profis. Denn kaum ein anderer Beruf ist so offen für Quereinsteiger aus allen akademischen und nichtakademischen Fachrichtungen. „Vertrieb ist im Grunde immer der Zweitberuf, für viele sogar der Drittberuf“, erklärt Wolfgang Nitsche. Dass viele Vertriebler früher etwas ganz anderes gemacht haben, ist für den Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Verkaufs- und Vertriebsleiter (BDV) kein Problem.
Geisteswissenschaftler sind in diesem Beruf ebenso willkommen wie BWLer, Mediziner oder Soziologen. Ex-Grundschullehrer Harald Schmidt fand hier seine neue Aufgabe, und Großkundenbetreuerin Katja Wendt gab einst das Marketing für eine Karriere im Vertrieb auf (siehe Porträts). Eine Studie der Personalberatung Personal Total, die im August 30.000 Stellenanzeigen auswertete, bestätigt den Trend: In 72 Prozent aller Angebote, die sich explizit an Quereinsteiger wenden, geht es um Vertrieb oder Außendienst.
„Bei vielen Unternehmen, wie Autovermietungen oder Hotels, sind Fachkenntnisse weniger wichtig“, erklärt HR Consultant Eric Wenzel. „Da geht es um die richtige Serviceeinstellung und um Gespür für Menschen. Stimmt die Persönlichkeit, dann kann vieles andere erlernt werden.“
McDonald´s ertragen
Dass man den Vertrieb im Blut haben müsse, ihn nicht lernen könne – in dieses Horn stoßen viele Fachleute. Nicht so Detlev Steffen, Personalreferent für den Außendienst bei der Krankenversicherung DKV: „Man kann sich vieles antrainieren“, weiß er aus seiner Schulungspraxis.
Muss man auch. Denn selbst an den BWL-Fakultäten führt der Vertrieb – im Gegensatz zu seinem beliebteren Gegenstück, dem Marketing – immer noch ein Schattendasein. Praxisnähe? Pustekuchen! Wer schon im Studium weiß, dass seine Zukunft im Vertrieb liegt, sollte deshalb früh die Ochsentour proben: „Am besten erst mal zu McDonald's gehen und jobben“, empfiehlt BDV-Präsident Wolfgang Nitsche. „Druck ertragen lernen, Freundlichkeit rüberbringen und eine Weile im Verkauf Dreck fressen, bevor man seine Karriere angeht.“
Gut im Lebenslauf macht sich auch ein Praktikum im Vertrieb – weil es so selten ist: Studierende wählen oft lieber das schicke Marketing oder das zukunftsträchtige Controlling als Praktikumsstationen. Vertrieb gilt als uncool und unbequem. Das nutzt jenen, die sich ernsthaft für die Abteilung interessieren. „Wer ein Vertriebspraktikum mitbringt, ist sicherlich von vornherein interessant für Unternehmen“, versichert HR Consultant Eric Wenzel. Den typischen Einstieg gibt es jedoch nicht. Für Absolventen gut geeignet sind Positionen wie Sales Trainee oder Vertriebsbeauftragter, die sie nah an den Kunden bringen und wo sie den Verkauf von der Pike auf lernen.
Klein starten, schnell aufsteigen Wer ordentlich reinhaut, kann es in kurzer Zeit weit bringen – etwa zum Key Account Manager oder Bereichsleiter wie Sellbytel-Mitarbeiter Harald Schmidt. Doch auch Schmidt hat ganz klein im Telefonverkauf angefangen. Über Akademiker, die gleich als Filialdirektor anfangen wollen, ärgert sich Detlev Steffen von der DKV: Wie jeder andere Vertriebler müssen sich Absolventen erst ihre Sporen im Verkauf verdienen.
Einsteiger sollten sich keine Illusionen machen: Einen Nine-to-five-Job können sie von vornherein vergessen, Reisen gehören zum Tagesgeschäft. „Im Grunde ist man Tag und Nacht Vertriebler, immer auf dem Sprung“, warnt Detlev Steffen alle, die nur das gute Geld lockt. Viele kämen mit falschen Vorstellungen: „Die glauben, dass sie die Kunden fix und fertig in der Schublade bekommen.“ Doch mit Bestandspflege allein lässt sich kein Blumentopf gewinnen. Neukundenakquise heißt das Erfolgsrezept, das schon viele Anfänger ins Schwitzen gebracht hat: 100 Anrufe und kein einziger Abschluss sind keine Seltenheit.
Unter Dauerdruck
Dass sie ständig mit ihren Kollegen verglichen werden, setzt sie allerdings unter Dauerdruck. „In vielen Unternehmen gibt es offen einsehbare Umsatzlisten“, weiß Eric Wenzel. „Da kann man direkt sehen, wer die Top- und wer die Bottom-Performer sind“ – also jene mit dem größten oder geringsten Umsatzvolumen. Wer sich gut schlägt, kann wegen des variablen Anteils sein Gehalt enorm in die Höhe treiben.
„Sehr gute Verkäufer können bei uns 100.000 Euro im Jahr verdienen“, berichtet Otis-Personalleiter Michael Kahmeyer. Andere Unternehmen motivieren ihre Vertriebler mit einer Karibikreise oder der Aussicht auf eine Mitgliedschaft im Top-Performer-Club, der nur den Besten offen steht.
Generell gilt: Außendienst bringt mehr als Innendienst. Zudem sind die Gehälter derzeit im Steigflug. Mehr als 80.000 Euro im Schnitt verdiente ein Vertriebsbeauftragter 2005, hat die IG Metall in einer Entgeltanalyse festgestellt – 25 Prozent mehr als 2004. Vertriebsleiter brachten es sogar auf eine Steigerung von 29 Prozent. Sie verdienen jetzt durchschnittlich 125.000 Euro.
Ein Ende des Vertriebler-Booms ist nicht in Sicht – trotz der immer breiteren Online-Schiene. Denn die, weiß Wolfgang Nitsche vom BDV, funktioniert längst nicht bei allen Waren. Kein Unternehmen könne auf die Profis verzichten: „Wie will man ein kompliziertes technisches Produkt online erklären? Da braucht man immer jemanden vom Fach.“
Harter Gang durch die Altherrenwelt
Katja Wendt, 39, hatte sich die Vertriebskarriere erst gar nicht zugetraut. Heute betreut sie Großkunden fürHewlett-Packard.
Der Mann am Messestand blickte kurz irritiert hoch: „Sie können uns gerne einen Kaffee bringen, aber die Details bespreche ich lieber mit Ihrem Kollegen.“ Da wagte es doch tatsächlich eine junge blonde Frau, in die Altherrenwelt der Maschinenbauer einzudringen. Spezialgeräte zur Metallbearbeitung – die wollte er sich doch lieber von einem Mann verkaufen lassen. An ihre ersten Messebesuche als Vertriebsgruppenleiterin denkt Katja Wendt mit gemischten Gefühlen zurück. Als Führungskraft von Kunden zum Kaffeeholen geschickt zu werden, war schwer erträglich. „Ich bin den harten Weg gegangen“, sagt sie und meint: als Exotin unter lauter gestandenen Maschinenbauern.
Mitte 20 war sie damals, Absolventin der Berufsakademie Stuttgart, und gerade von einem dreijährigen Einsatz für den schwäbischen Weltmarktführer Trumpf in der Schweiz zurückgekehrt. „Ich wollte nie in den Vertrieb“, gibt sie heute zu. „Erst recht nicht gleich in eine Führungsposition. Das war mir zwei Nummern zu groß.“ Aber da war dieses Jobangebot ihres Arbeitgebers, und der traute ihr mehr zu als sie sich selbst.
Also schluckte Katja Wendt ihr Oh-Gott-das-kann-ich-nicht-Gefühl herunter und beschloss, von gestandenen Außendienstlern zu lernen. Fuhr mit auf Messen, putzte Klinken beim Kunden und lernte, dass ein guter Vertriebler immer eine Geschichte erzählen kann: Wie viele Kinder der Kunde hat. Wohin er in Urlaub fährt. Wann sein Geburtstag ist und wofür er die Produkte braucht, die er ihm verkaufen möchte. „Relationship Management“ nennt sie das und ist stolz darauf, dass sie heute niemand mehr für eine Sekretärin hält.
Mittlerweile ist Wendt für den Computerhersteller HP als Großkundenbetreuerin von Krankenkassen im Einsatz. Und hat erkannt, dass Frau zu sein im Vertrieb alles andere als ein Handikap ist. Nicht nur, weil Frauen dort gerade stark gefördert werden. „Wir haben die Gabe, die Situation beim Kunden sehr schnell zu erspüren – ob etwas kritisch wird oder schief läuft“, glaubt sie. Dass sie für den Kundenbesuch lieber klassisches Kostüm statt Hosenanzug wählt, ist durchaus gewollt. „Ich bin mir bewusst, dass ich mich in einer Männerwelt bewege. Aber deshalb muss ich mich nicht geben wie ein Mann.“
Kichern in der Leitung
Harald Schmidt, 33, wollte eigentlich Lehrer werden. Docher wählte den Vertrieb – wegen der besseren Aufstiegschancen.
Einen besseren Vornamen hätten ihm seine Eltern gar nicht geben können. Wenn Harald Schmidt einen potenziellen Kunden anruft, dann weiß er schon, was kommt: ungläubiges Lachen, Nachfragen – und schon ist das Eis gebrochen: „Mein Name ist ein Türöffner, jeder verbindet ihn mit etwas Positivem, mit Humor und Spontanität“, freut sich der Nürnberger.
Das hat dem Vertriebsprofi mit dem berühmten Namensvetter schon so manchen Abschluss erleichtert. Denn nirgendwo ist ein gut gelaunter Einstieg so wichtig wie im Telefonvertrieb. Sellbytel heißt das Unternehmen, bei dem Schmidt binnen fünf Jahren vom Anfänger zum Bereichsleiter aufgestiegen ist. Dabei hatte der 33-Jährige ursprünglich eine ganz andere Karriere im Kopf:
Grundschullehrer wollte er werden. Doch nach dem ersten Staatsexamen kam er ins Grübeln: „Ich bin sehr ehrgeizig und wollte gerne in einem Beruf arbeiten, wo überdurchschnittliche Leistung honoriert wird“, erzählt Schmidt. „Solche Perspektiven habe ich an der Schule nicht gesehen.“
Als ein Freund ihm erzählte, dass Sellbytel vorzugsweise Quereinsteiger für den Vertrieb rekrutiert – etwa 60 Prozent der Kollegen kommen aus anderen Berufen -, ergriff er die Chance: Nach drei Monaten stieg er zum Teamleiter auf, nach weiteren sieben Monaten zum Projektleiter, und heute führt Harald Schmidt als Bereichsleiter knapp 200 Mitarbeiter.
Ein Ehrenamt aus Studienzeiten kommt ihm dabei zugute: Für einen Radiosender moderierte er einst eine Evening-Show und führte jede Menge Promi-Interviews. Reden liegt ihm im Blut. „Vertrieb funktioniert fast ausschließlich über Sprache“, erklärt Schmidt, „gerade wenn man wie wir viel übers Telefon verkauft.“ Das Dauerquatschen strengt an, keine Frage: Bis zu 60 Telefonate täglich führte Schmidt in seinen Anfangszeiten, heute ist er öfter auch mal vor Ort beim Kunden.
Von einer 40-Stunden-Woche kann der Familienvater nur träumen. Dafür hat er es selbst in der Hand, wie hoch sein Gehalt ist. Das motiviert ihn, auch bei schwierigen Fällen dranzubleiben: „Wenn der Kunde Nein sagt, dann fängt der Job für mich erst richtig an. Denn Nein heißt immer, er hat noch nicht genug Informationen.“