Vorstellungsgespräch per Video: Bei dieser Personalerin müssen Bewerber vor der Webcam überzeugen
In der Coronakrise werden Jobinterviews per Webcam zur Regel. Eine Personalerin erklärt, worauf es ankommt.
Anja Michael Die Personalerin des Softwareherstellers Avira ist überzeugt, dass Bewerbungsgespräche per Video immer normaler werden. Foto: PR
Per Video bekommen Personaler ganz ungewohnte Einblicke in das Leben ihrer Bewerber: In einem Vorstellunggespräch, daran erinnert sich Anja Michael, Personalerin beim Softwarehersteller Avira, stand der Kandidat auf, weil er von seiner Frau gerufen wurde. Hatten die Fragesteller bis dato Gesicht und Ausschnitte des T-Shirts gesehen, blickten sie durch die Webcam nun auf die Boxershorts des Bewerbers. Den Job hat der Kandidat nicht bekommen – auch weil er fachlich nicht überzeugte.
Das Beispiel zeigt: Bei Video-Vorstellunggesprächen können Bewerber in Fallen tappen, die es im realen Jobinterview nicht gibt. Auch für Personaler ist es eine ungewohnte Situation.
Zwar haben viele Industriekonzerne einen Einstellungsstopp verkündet, doch in anderen Firmen geht das Recruiting weiter – per Video. So auch bei der Firma Avira, die im März genauso viele Leute eingestellt hat wie in den Vormonaten, erzählt die globale Personalchefin Michael.
Der Softwarehersteller führt schon seit vielen Jahren zumindest die ersten Auswahlgespräche per Video durch. „Gerade bei Bewerbern aus dem Ausland hilft das, einen ersten Eindruck zu gewinnen“, sagt die Personalerin.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Firma spart Kosten für die Anreise, der Kandidat Zeit.
Während das Auswahlgespräch per Webcam bei Avira üblich ist, setzen viele Firmen hierzulande noch auf das klassische Kennenlernen. In normalen Zeiten ist ein Treffen auch im Auswahlprozess von Avira eingeplant: Für die finalen Interviews lädt Michael vielversprechende Bewerber in die Zentrale nach Tettnang am Bodensee ein.
Doch in diesen Tagen muss auch das virtuell funktionieren. Für Personaler eine Herausforderung, räumt Michael ein. „Durch die Webcam sehe ich nur einen Ausschnitt des Bewerbers, kann seine Mimik schlechter einschätzen und bekomme auch nicht mit, wie er aufs Team zugeht.“
Auch das virtuelle Vorstellungsgespräch gut vorbereiten
Auch für Jobsuchende ist es ungewohnt, sich per Webcam vorzustellen. Gerade für höherrangige Manager sei das exotisch, sagt der Berliner Bewerbungsexperte Jürgen Hesse. „Viele Bewerber sind ohnehin nervös und vor der Kamera zusätzlich gehemmt.“
Was hilft: sich besonders gut vorbereiten. Und: die Technik checken. Laufen die Programme? Ist das Internet stabil? Funktioniert die Webcam?
Inhaltlich gilt für die Jobsuchenden das gleiche wie beim realen Treffen, so Hesse: „Bewerber sollten sich überlegen, was sie schon geleistet haben, was sie der neuen Firma bringen können und deutlich machen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind.“
Was im virtuellen Vorstellunggespräch besonders wichtig ist: auf den Punkt kommen, rät der Kölner Karrierecoach Bernd Slaghuis. „Bewerber tendieren schon im realen Gespräch dazu, zu sehr ins Erzählen zu kommen. Im Video-Call ist die Gefahr größer, weil man das Gegenüber nicht so gut wahrnimmt.“
Slaghuis sieht aber auch Vorteile: Die Kandidaten können sich mehr Notizen zurechtlegen als bei einem realen Gespräch, schließlich würden sie auf dem heimischen Schreibtisch nicht auffallen.
Bewerber sollten direkt in die Kamera schauen
Um den Bewerbern die zusätzlichen Sorgen vor technischen Problemen zu nehmen, versucht Personalerin Michael zu Beginn für eine gute Gesprächsatmosphäre zu sorgen – auch wenn sie keinen Kaffee anbieten kann. „Wir weisen die Bewerber darauf hin, dass es zu technischen Unterbrechungen kommen kann und sie ihnen nicht zum Nachteil ausgelegt werden.“
Michael leitet beim Bundesverband der Personalmanager (BPM) die Fachgruppe Personalmanagement. Der Verband rät Personalern in einer Netiquette dazu, „die ungewohnte Situation vorbeugend zu adressieren“. Und falls die Konferenz nicht einwandfrei funktioniert, ermuntert der BPM beide Seiten dazu, ehrlich und zügig mitzuteilen, dass man das Gegenüber nicht verstanden hat.
Bei der Kleiderwahl gilt beim Vorstellungsgespräch vor der Webcam das gleiche wie bei Videokonferenzen mit Kollegen: Hemden und Blusen mit kleinteiligem Muster besser vermeiden, sonst flimmert das Bild. Das Licht sollte immer von vorne kommen, allenfalls von der Seite. Strahlt es von hinten, ist der Hintergrund zu hell und vom Teilnehmer sind nur Schatten zu sehen.
Nicht vergessen: in die Kamera schauen. Die meisten Teilnehmer blicken auf den Monitor, doch die Webcam ist meistens oben oder seitlich angebracht. Das hat zur Folge, dass sich Kollegen oder Personaler nicht angesprochen fühlen.
Außerdem rät der BPM, dass sich Bewerber vor dem Gespräch mit den technischen Details der Webcam und den Funktionen des Programms vertraut machen. Wer unsicher ist, „macht keinen guten Eindruck“.
Abseits der technischen Komponente erwartet Michael im Gespräch volle Professionalität von den Bewerbern, auch wenn es aus dem heimischen Wohnzimmer geführt wird. Sie achtet darauf, ob der Hintergrund aufgeräumt, die Kamera richtig eingerichtet und ob der Bewerber gepflegt gekleidet ist.
„Vorstellunggespräche per Video werden selbstverständlicher werden“
Auch wenn die digitalen Vorstellungsgespräche besser verlaufen als zunächst gedacht, will Michael nach der Coronakrise nicht auf den persönlichen Eindruck verzichten.
Eines aber wird sie verändern: Schon bei den ersten Videogesprächen soll es eine digitale Tour durchs Büro geben. Auch das Team, mit dem der Bewerber dann zusammenarbeiten würde, soll er schon durch die Kamera kennenlernen. Bislang ist das erst beim Treffen in der Zentrale vorgesehen.
Doch wenn die Atmosphäre schon beim Video-Call nicht passt, können sich Unternehmen und Kandidat das persönliche Kennenlernen samt Anreise mit Bahn oder Flugzeug gleich sparen.
Wie bei Avira werden sich in vielen Unternehmen die Bewerbungsprozesse durch die Coronakrise verändern, glaubt Experte Hesse. „Vorstellunggespräche per Video werden zukünftig immer selbstverständlicher werden.“
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