Kommunikation im Job: Du ist das neue Sie
„Du, Chef“, heißt es in deutschen Unternehmen immer häufiger: Einer Studie zufolge duzt jeder Dritte den Vorgesetzten und Kollegen. Warum sich Unternehmen vom Siezen verabschieden und welche Gefahren lauern.
Wenn Hans-Otto Schrader über die Flure der Otto-Gruppe am Hamburger Campus geht, bekommt er des Öfteren von seinen Mitarbeitern zu hören: „Hey, ich kann jetzt Hos zu dir sagen!“ Dann sagt er: „Klar, und wie heißt du?“ Denn egal ob Lagerist oder Topmanager – alle 54.000 Mitarbeiter dürfen den Vorstandsvorsitzenden des Versandhändlers seit etwa eineinhalb Jahren duzen. Allerdings unter einer Bedingung: Sie sollen ihn bei seinem Spitznamen Hos nennen, der sich aus den Initialen seines Vor- und Nachnamens zusammensetzt.
„Mit diesem kleinen, aber wirksamen Zeichen wollen wir im Konzern zu einem noch stärkeren Wir-Gefühl kommen. Das ist über das ‚Du‘ schlicht einfacher“, schreibt Schrader in einem Gastbeitrag für das Karrierenetzwerk Xing.
Seit dem Sommer dürfen auch die 375.000 Mitarbeiter der Schwarz-Gruppe – zu der neben dem Discounter Lidl auch die Kaufhaus-Kette Kaufland gehört – Topmanager mit dem Vornamen ansprechen.
Die Otto- und die Schwarz-Gruppe gehören zu einer Vielzahl von Unternehmen, in denen das „Sie“ mittlerweile ausstirbt, wie eine gemeinsame Studie der Online-Jobbörse Stepstone und der Managementberatung Kienbaum zeigt. Sie haben 17.000 Fachkräfte zur Hierarchie und Organisationskultur befragt und kommen zu dem Ergebnis: Jeder Dritte duzt sowohl seine Kollegen als auch den Chef. In Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern sogar jeder Zweite.
Ziel 1
Hierarchieabbau zeigt: Hier wird effizient gearbeitet
Mit dem kollegialen „Du“ wollen Unternehmen in Zeiten, in denen die Arbeitswelt durch die Digitalisierung zunehmend schneller wird, Hierarchien abbauen. „In solchen dynamischen Umfeldern werden Hierarchien zum Hindernis für effizientes Arbeiten. Es ist wichtig, dass Entscheidungen schnell und nicht mehr nur von Führungspersonen getroffen werden können“, sagt Sebastian Dettmers, Geschäftsführer von stepstone.de.
Ziel 2
Neue Ansprache signalisiert: Hier geht es weniger formell zu
Eva Bamberg, Arbeits- und Organisationspsychologin an der Uni Hamburg, sieht in dem Angebot einen gezielten Eingriff in die Unternehmenskultur. „Gerade in klassischen Unternehmen und Konzernen ist das ‚Du‘ ein Signal an Kunden, Stake- und Shareholder. Die Unternehmen wollen zeigen, dass es bei ihnen weniger formell zugeht.“ Sie geben sich mitarbeiternah.
Gefahr 1
Duzen dient der Verschleierungstaktik: Die alte Hierarchie bleibt bestehen
Doch gerade in klassischen Unternehmen und Konzernen herrschten lange Zeit starre Hierarchien – und Machtgefälle bleiben trotz des scheinbar kollegialen Duzens weiterhin bestehen. „Das Duzen ist oftmals nur eine Verschleierung der Hierarchie“, meint Bamberg. Unterschiedliche Interessen – beispielsweise bezüglich Bezahlung, Arbeitszeiten oder Beförderung – gebe es nach wie vor.
Gefahr 2
Duzen erschwert Kritikgespräche: Die Distanz geht verloren
Deshalb befürchtet auch Arbeitspsychologe Tim Hagemann von der Bielefelder Fachhochschule der Diakonie, dass es zu Schwierigkeiten beim „Du“ zwischen Chef und Angestelltem kommen kann. „Wenn das Verhalten der Führungskraft nicht zu der assoziierten Vertraulichkeit der persönlichen Anrede passt, ist das Duzen kontraproduktiv“, schreibt Hagemann in einem Gastbeitrag auf Xing.
Beispielsweise, wenn eine Führungskraft seinem Mitarbeiter erklären muss, dass er nicht befördert wird. „Diese Rolle bedarf einer gewissen Distanz. Doch selbst der Arbeitnehmer kann unangenehme Entscheidungen durch ein ,Sie‘ differenzierter bewerten und für sich annehmen“, erklärt der Experte.
Gefahr 3
Duzen ist nicht umkehrbar: Die Unternehmenskultur leidet
Aus diesem Grund sollten sich Chefs gut überlegen, ob sie ihren Mitarbeitern das „Du“ anbieten. Denn: Es lässt sich nicht zurücknehmen. Und: „Insgesamt müssen ein generelles Duzen oder Siezen und die tatsächliche Unternehmenskultur stimmig sein – alles andere ist nur Schönfärberei“, so Hagemann.
Nur in jungen oder kleineren Unternehmen, beispielsweise in Start-ups, ist das kollegiale „Du“ meist kein Problem, meinen Arbeitspsychologen. Eva Bamberg erklärt warum: „Zwar gibt es selbst in neu gegründeten Unternehmen Hierarchien. Da das Team aber nur eine kleine Gruppe ist, gehört das ‚Du‘ seit Beginn zur Unternehmenskultur dazu – und wird nicht erst nachträglich verordnet.“
Duz-Regeln für das Geschäftsleben
Auch in modernen Zeiten gelten traditionelle Regeln. Im Business sollte man die wichtigsten „Gesetze“ der Ansprache kennen:
- Mann und Frau
Die Dame sagt zum Herren: „Wollen wir nicht Du sagen?“ - Jung und alt
Der Senior bietet dem Junior das „Du“ an und nicht umgekehrt. - Vorgesetzter und Mitarbeiter
Der Ranghöhere bestimmt die Anredeform. Also: Der Chef bietet dem Azubi das „Du“ an.