Fachfremde Fachkräfte: Gelungener Angriff der Quereinsteiger
Im Lehrerberuf geht es nicht mehr ohne, jetzt soll auch die freie Wirtschaft profitieren.
Frischer Wind für Unternehmen Mitarbeiter mit fachfremder Ausbildung können im Unternehmen neue Perspektiven schaffen. Foto: Sebastian Garcia on Unsplash
Das deutsche Bildungssystem kommt ohne Quereinsteiger schon lange nicht mehr aus. In mindestens 80 Prozent der Kollegien sind mittlerweile Fachkräfte ohne pädagogische Ausbildung vertreten, stellt die Bertelsmann Stiftung in ihrer jüngsten Analyse über „Lehrkräfte im Quereinstieg: sozial ungleich verteilt?“ allein für die Berliner Grundschulen fest.
Und das passende Personal fehlt nicht nur da: Der Fachkräftemangel ist offensichtlicher denn je, Unternehmen suchen Monate lang nach geeigneten neuen Mitarbeitern – bei manchen sind es sogar Jahre.
Für Entlastung – auch kurzfristig – könnten da Quereinsteiger sorgen, wie das Online-Karriereportal Monster in einer Umfrage unter gut 400 Personalverantwortlichen in Deutschland herausgefunden hat.
Denn weit über die Hälfte aller Befragten sagt: Bewerbungen von eigentlich Fachfremden seien längst keine Seltenheit mehr und wesentlich häufiger als noch vor zehn Jahren. In 23 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits ein Viertel bis die Hälfte aller Mitarbeiter Quereinsteiger.
Vorteil 1: Quereinsteiger bieten Mehrwert durch neue Perspektiven und andere Erfahrungen
Sie sind nicht selten heiß begehrt. Kein Wunder, denn diese Fachkräfte haben mehr zu bieten als nur Motivation und Know-how. Das zeigt auch die Untersuchung der Lehrkräfte in Berlin.
Die befragten Schulleitungen betonten „den Mehrwert, den Personen mit einer anderen beruflichen Perspektive und Lebenserfahrung für die Schule und den Unterricht entstehen lassen“.
Das lässt sich sinngemäß auf die freie Wirtschaft übertragen und wird durch die Monster-Umfrage bestätigt: 49 Prozent der Befragten ließen sich bei Bewerbungen durch eine alternative Berufserfahrung der Bewerber überzeugen und 34 Prozent sahen vielversprechende Qualitäten im persönlichen Werdegang. Das heißt aber auch: Kompetenz und die geeigneten Qualitäten sind nicht mehr nur durch die richtige Ausbildung oder das Studium zu erlangen.
Vorteil 2: Quereinsteiger haben Lebensläufe mit Abwechslung
Der Grund ist bekannt: Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt von Grund auf. Jahrzehntelange Treue von Mitarbeitern zu ihrem Unternehmen ist längst passé. Nun scheint es auch dem erlernten Beruf an den Kragen zu gehen.
Der Wechsel des Berufsfeldes wird normal.
Gerade Lebensläufe, die früher für Recruiter das Non-plus-Ultra waren, haben ausgedient, heute zählt die Abwechslung.
Das spiegeln nicht zuletzt die vielen neuen Studiengänge wider, die nicht nur an Fachhochschulen, sondern auch an den Universitäten in Deutschland entstehen: Digital Transformation, International Business Communications, Innovationsmanagement und digitale Geschäftsmodelle, Financial Services oder Big Data & Business Analytics sind nur einige von ihnen.
In seiner aktuellen „Zwischenbilanz: Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg“ unterstreicht das Bundesarbeitsministerium (BMAS) die neue Vielfalt: „Im Laufe eines Erwerbslebens sind ständig neue Kompetenzen gefragt, die Beschäftigte über Weiterbildungen immer wieder neu erwerben müssen und die den Betrieben mehr Planung und strategisches Wissensmanagement abverlangen.“
Vorteil 3: Quereinsteiger bringen frischen Wind ins Team
Quereinsteiger fallen da als solche schon gar nicht mehr auf. Denn alles scheint zu verschmelzen: Wo früher klare Grenzen waren, ist heute Durchlässigkeit sogar gewünscht.
Zudem wird das Berufsleben durch einen frühen Berufseinstieg und einen späteren Renteneintritt länger. Da müssen sich alle weiterentwickeln, um am Ball zu bleiben.
Außerdem zeigt die Monsterstudie, dass viele Mitarbeiter ohnehin nicht die traditionell passende Ausbildung für ihren Beruf im Unternehmen haben. Das gaben zehn Prozent der Befragten für mehr als die Hälfte ihrer Angestellten an.
Interessant aber ist, dass „in einem schnelllebigen Markt des dauerhaften Wettbewerbs, der Stagnation schnell bestraft, auch neue Skills immer wichtiger zu werden scheinen“, erläutert Sylvia Edmands, Geschäftsführerin bei Monster in Deutschland den Trend. 22 Prozent der Befragten stellten Quereinsteiger allein deshalb ein, „um frischen Wind in das Team zu bekommen.“
Vorteil 4: Wo Quereinsteiger arbeiten, wird Weiterbildung für alle zur Normalität
Tatsache ist, dass bereits 39 Prozent der Personalverantwortlichen in Stellenausschreibungen auch schon aktiv nach Quereinsteigern gesucht haben.
Und nur ein Fünftel der Teilnehmer an der Monsterumfrage gab an, noch nie Quereinsteiger eingestellt zu haben.
Die Gründe dafür reichen von speziellem Fachwissen, das für die zu besetzende Stelle notwendig ist (40 Prozent) bis hin zu den dafür wichtigen Weiterbildungen, die als zu teuer (20 Prozent) oder als zu lange dauernd (23 Prozent) empfunden werden.
Dabei ist insgesamt der Anteil an beruflicher Weiterbildung seit 2013 deutlich gestiegen, wie die BMAS-Zwischenbilanz zeigt. Das gilt speziell für die Altersklasse der 25- bis 54-Jährigen mit mittlerem bis hohem Bildungsniveau.
Denn gut Dreiviertel der Beschäftigten halten es aufgrund technologischer Veränderungen für notwendig, die eigenen Fähigkeiten ständig weiterzuentwickeln.
Vorteil 5: Mit Quereinsteigern kommt zusätzliche Qualifikation ins Unternehmen
Nicht nur die Monsterstudie zeigt klar: Die Mitarbeiter-Lebensläufe in deutschen Unternehmen werden verschlungener. Es gibt nicht mehr nur die eine klassische Ausbildung oder den geraden Karriereweg, der zielführend ist.
Qualifikation kommt auf unterschiedlichen Ebenen zustande. So werden durch systematischen Fremdeinsatz auch langjährige Mitarbeiter fast unbewusst zu Quereinsteigern.
Wer dazu noch von außen ins Unternehmen kommt, sorgt darüber hinaus für neue Perspektiven, die den wirtschaftlichen Erfolg beflügeln können.
Heutzutage führen eben „viele Wege nach Rom“, ist sich Monster-Geschäftsführerin Edmands sicher. „Und Unternehmen nutzen diese Tendenz für sich, um Stellen zu besetzen.“
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