Vielfalt virtuell fördern: So engagieren sich Arbeitgeber bei Diversity
In der Krise sparen Unternehmen am Diversity-Engagement. Arbeitgeber, die es ernst meinen, schwenken um auf virtuelle Aktionen – die besten Ideen.
Chancengleichheit I Arbeitgeber, die neue Talente gewinnen wollen, engagieren sich für mehr Vielfalt in ihrer Belegschaft.
Ob Ladies Lunch für erfahrene Managerinnen oder spezielle Recruiting-Veranstaltung, um zum Beispiel schwule, lesbische oder Transgender-Personen als neue Mitarbeiter zu gewinnen – wer in den vergangenen Jahren Arbeitgebern versprach, für mehr Vielfalt in der Belegschaft zu sorgen, bekam Geld von Dax-Konzernen bis kleinerem Mittelständler.
Doch nun werden Diversity-Budgets eingefroren oder gar gekappt, vor allem in der Automobilbranche, im produzierenden Gewerbe und im Handel. Und das nicht nur aus Gesundheitsschutzmaßnahmen. „Was keinen direkten Umsatz verspricht, fällt oft dem Rotstift zum Opfer“, sagt zum Beispiel Viktoria Wagner.
Die Chefin der Initiative Beyond Gender Agenda hat die Erfahrung gemacht, dass potenzielle Partnerunternehmen auf Anfragen nach einer finanziellen Unterstützung für 2021 teils sehr verhalten reagieren. Wagner, hinter deren Initiative bekannte Frauen wie Fränzi Kühne, Gründerin von der Digital-Agentur TLGG, oder Miele X-Chefin Cindy Groenke stehen, sagt: „Ich mache mir Sorgen, ob das Thema genügend Relevanz behält.“
Diversity in Unternehmen: Wer es ernst meint, engagiert sich auch während der Krise
Ein Rückschritt für alle. Schließlich geht es nicht nur um Fairness und die überfällige Korrektur gesellschaftlicher Schiefstellungen, sondern auch um wichtige wirtschaftliche Impulse. In der Krise ist vor dem Aufschwung. Innovative Ideen und frische Perspektiven werden gebraucht. „Wo aber sollen die herkommen, wenn Hans immer weiter nur Hänschen einstellt oder befördert“, fragt zum Beispiel Ludger Ramme. Er ist Hauptgeschäftsführer des größten deutschen Führungskräfteverbands ULA.
Auch aus den Reihen des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) wird davor gewarnt, im Bemühen um mehr Vielfalt nachzulassen: „Wird am Diversity-Engagement gespart, rächt sich das. Talente werden solche Unternehmen meiden.“
Aktiv gegenzusteuern ist notwendig. „Ein Arbeitgeber, der Vielfalt wirklich ernst nimmt, setzt sein Engagement unbeirrt fort“, sagt Goran Barić. Er ist Geschäftsführer der Personalberatung Page Group. Externe wie interne Bewerber und Bewerberinnen beobachten genau via Social Media, wie die Unternehmensrealität aussieht. „Mit Alibi-Veranstaltungen kommen Arbeitgeber nicht mehr durch.“
Personalchefs und Diversity-Verantwortliche sollten aus der Not eine Tugend machen. Statt maßgeschneiderter Luxusprogramme gibt es Virtuelles von der Stange. Das muss kein Nachteil sein. Hier die besten online realisierbaren Ideen:
Audi: Online-Gesprächsabend mit Vorständin Hildegard Wortmann
Es sollte ein persönliches „Meet and Greet“ mit Hildegard Wortmann, einer der hochrangigsten Frauen der deutschen Automobilindustrie, werden. Doch Corona ließ das ursprünglich in München geplante Treffen der Audi-Vorständin für Marketing und Vertrieb mit karrierebegeisterten Frauen aus dem Nushu-Netzwerk platzen.
An der virtuellen Variante beteiligten sich schließlich 300 Frauen zwischen 25 und 40 Jahren, denen die Topmanagerin von ihrem persönlichen Werdegang und ihrem Führungsverständnis berichtete. Und mit denen sie danach noch diskutierte. „Klar, ein Treffen am Bildschirm ist weniger intim, dafür können an solch einer seltenen Gelegenheit dann nicht nur die Münchnerinnen teilnehmen“, zeigt sich Nushu-Geschäftsführerin Annelies Peiner zufrieden mit der virtuellen Alternative.
Accenture: Digitaler Diversity-Tag mit DJ im Wohnzimmer
Eigentlich sollte der diesjährige „Diversity Day“ von Accenture am Firmensitz in Kronberg im Taunus stattfinden. Unter dem Motto „equality = innovation“ wollten Manager und Mitarbeiter der internationalen IT-Beratung sich speziell mit Spitzensportlern mit Handicap treffen und in entspannter Atmosphäre über Inklusion im Unternehmensumfeld austauschen.
Als das persönliche Treffen wegen Corona nicht mehr möglich war, verlegte Accenture das Event ins Internet – inklusive der gemeinsamen Cocktail-Runde. Nach der gelungenen Premiere veranstaltete Accenture noch fünf weitere virtuelle Veranstaltungen zwischen Mai und Ende Juni. Bei einem Awareness-Workshop zum Beispiel ging es um das Coming-Out von Schwulen, Lesben oder Transgender-Personen am Arbeitsplatz.
Auch die Abschlussfeier beförderte Accenture auf die Bildschirme. Ein DJ legte über einen Live-Stream auf, so dass die Teilnehmer dazu in ihrem Zuhause, zwar jeder für sich, aber dennoch gemeinsam an den Bildschirmen feiern sowie sich per Chatfunktion unterhalten konnten.
Mit mehr als 600 Teilnehmern war der virtuelle „Diversity Day“ so gut besucht, dass sich Accenture-Sprecherin Kerstin Broßat vorstellen kann, das aus der Not geborene Digital-Format bei anderen Diversity-Events auch in Zukunft beizubehalten. „Bei solchen Veranstaltungen gibt es weniger Barrieren“, sagt sie „dadurch haben wir eine viel größere Reichweite“.
Mytheresa: persönliches Coaching per Videokonferenz
Frauen, die in eine männliche Führungsriege kommen, ausländische Mitarbeiter, die auf deutsche Direktheit stoßen, junge Kollegen, die plötzlich älteren vorgesetzt sind: Eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft arbeitet nicht automatisch reibungsfrei. „Im Gegenteil“, weiß Björn Kastl, Personalchef des Online-Shops Mytheresa, aus der Zusammenarbeit von inzwischen 800 Mitarbeitern aus mehr als 60 Nationen. Kastl wollte ein professionelles Unterstützungsangebot für alle Führungskräfte bieten, die sich unter anderem in Diversity-Fragen Rat wünschen. Coachhub, eine Online-Plattform mit rund 700 internationalen, zertifizierten Coaches wurde als Kooperationspartner engagiert.
Wer sich an einen versierten, aber neutralen Dritten wenden möchte, findet über einen Algorithmus den passenden Business Coach zum gewünschten Thema, auch durch ein paar Zusatzangaben, etwa zur Branche, um die es geht, zur gewünschten Beratungssprache oder dem persönlichen Hintergrund des Coaches. Etwa, dass eigene Erfahrungen als weibliche Führungskraft oder als Mitarbeiter mit Migrationshintergrund gewünscht sind. Dann schlägt Coachhub den passenden Sparringspartner aus der Datenbank vor.
Je sechs Videokonferenz-Sessions mit diesem Coach darf ein Mitarbeiter dann wahrnehmen. Die Gesprächstermine sollen innerhalb von drei Monaten stattfinden. Der Arbeitgeber übernimmt zwar die Rechnung, erfährt aber nicht, worum es konkret in den einzelnen Gesprächen geht. Mitarbeiter und Coach entscheiden individuell über ihr Coaching-Thema, etwa über „interkulturelle Kompetenz“ oder „Women in Leadership“. Kastl: „Egal, welches Alter, Geschlecht, Nationalität, Religion oder sexuelle Orientierung unsere Mitarbeitenden haben – alle sollen sich im Unternehmen gleichermaßen fair behandelt und ´zu Hause´ fühlen. Besonders die weltweiten Black lives matter-Demonstrationen haben uns alle dafür noch mal sensibilisiert.“
SAP: virtuelle Weinprobe
Anstatt wie vor der Coronakrise üblich, etwa ein Dutzend interessante Expertinnen aus der Tech-Branche zum Beispiel einzuladen, um ihnen bei Häppchen und Cocktails zu demonstrieren, wie SAP-Software etwa in der Raumfahrt eingesetzt wird, gibt es neuerdings eine virtuelle Weinverkostung: Rund 100 weiblichen Kandidatinnen, die der Softwarekonzern gerne für sich gewinnen möchte, lässt Cawa Younosi dazu jeweils vorab ein Paket mit vier Flaschen vom Hamburger Weinladen aus St. Pauli schicken.
Nach Feierabend geht es dann los. Die Teilnehmerinnen wählen sich in eine Videokonferenz ein und entkorken zum Anstoßen auf das Kennenlernen einen prickelnden Crémant von der Loire. Sie hören aufmerksam zu, was Sommelière Stephanie Döring ihnen über Schaumweine generell und speziell über das französische Anbaugebiet, aber auch über den Herstellungsprozess von Champagner und Co. erzählt. Dazwischen naschen die IT-Spezialistinnen unterschiedlichster Nationalität bereitgestellte Käsehappen oder Oliven. Oder tippen ein, wie ihnen der jeweilige Wein mundet.
Die Stimmung während der 90-minütigen Session ist locker. Personalchef der SAP Deutschland, Cawa Younosi, jedenfalls ist zufrieden mit der Aktion, die ihn rund 50 Euro pro Teilnehmerin gekostet hat – ein Bruchteil einer klassischen Abendveranstaltung: „Ein voller Erfolg.“ Den macht er auch daran fest, dass Teilnehmerinnen später auf seine E-Mails oder Nachrichten weitgehend antworten. Man ist im Gespräch und bleibt es auch. Neue Jobchancen ergeben sich in seiner Branche mitunter schneller als gedacht.
Vodafone: Eigene Vorurteile spielerisch bewusst machen
Gerade erst war der Diversity Parcours auf dem Düsseldorfer Vodafone-Campus aufgebaut, da kam es zum Corona-Lockdown. Und alle Mitarbeiter, die die interaktive Installation in den folgenden drei Wochen durchlaufen sollten, um sich ihre eigenen Vorurteile gegenüber anderen Menschen bewusst zu machen, mussten ins Homeoffice umziehen. Diversity-Managerin Nina Knüwer und ihre Kollegin Erdmute Thalmann wollten sich diesem Umstand aber nicht kampflos beugen.
Kurzerhand führten die beiden gemeinsam mit dem Diversity Institut die insgesamt fünf Stationen des Diversity Parcours digital bei Vodafone ein und ließen alle Mitarbeiter dafür freischalten.
Senior Marketing-Managerin Jana Lipovski zum Beispiel klinkte sich von zuhause in den virtuellen Parcours ein. „Dabei war ich überzeugt davon, weitestgehend vorurteilsfrei auf Menschen zuzugehen.“ Umso größer war ihr persönliches Aha-Erlebnis, als sie am PC-Monitor mit unterschiedlichen Silhouetten konfrontiert wurde: Die Umrisse erinnern an einen Rapper, eine Rollstuhlfahrerin, eine Mutter mit Kind auf dem Arm und eine Frau, die ein bisschen wie Angela Merkel aussieht.
Die 38-Jährige Managerin hörte sich an, was die Personen hinter den Silhouetten von ihrem Leben erzählen: Beispielsweise die Frau im Rollstuhl. „Aufgrund des Rollstuhls habe ich im ersten Moment nicht erwartet, dass sie eine erfolgreiche Leistungssportlerin ist. “ Und so ist der Vodafone-Managerin auf spielerische Art klar geworden: „Da hab ich jemand unabsichtlich in Schubladen gesteckt und bin selbst auf Stereotype reingefallen, obwohl ich das nicht für möglich gehalten hätte.“
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