Buchbesprechung: Erfolgreiche Karriere dank sauberem Schreibtisch
Marie Kondo und Organisationspsychologe Scott Sonenshein geben Aufräumtipps, mit denen nicht nur Ordnung sondern auch Freude am Job zurückkehren soll.
Sauberer Schreibtisch I Aufräumikone Marie Kondo und Organisationspsychologe Scott Sonenshein sind sich sicher, dass Ordnung der Karriere hilft.
Sie erkennen einander auf einen Blick. Zumindest wenn sie zuvor eine Schublade in einem beliebigen Haushalt geöffnet haben. Liegen alle Sachen darin fein säuberlich verstaut in Boxen? Sind alle übersichtlich nach Funktion, Farbe oder Form sortiert? Sind die Boxen womöglich beschriftet?
Dann gibt es keinen Zweifel mehr: Es handelt sich um eine Wohnung von Marie-Kondo-Fans. Ein Blick ins Badezimmer beseitigt auch noch den letzten Zweifel: gerollte Handtücher – alles klar! Die Japanerin Marie Kondo hat es mit Ordnung weltweit zu TV-Ruhm geschafft.
Und so kennt man sie: In ihrer TV-Serie beim Streamingdienst Netflix besucht sie US-Familien in ihrem Zuhause, läuft dort herum und verkündet: „I love mess“ – „Ich liebe Unordnung“. Sie ist ein Aufräumfreak, wie sie selbst zugibt.
Los hing der Hype im Jahr 2011 mit ihrem Buch „The life-changing Magic of tidying up“, die lebensveränderte Magie des Aufräumens. Es wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Seitdem beschreiben Menschen in zahllosen Blogs und Artikeln, wie sehr die „KonMari-Aufräummethode“ ihr Leben verändert hat.
Alles einmal auf den Prüfstand stellen
Vor allem in Coronazeiten, im Raum-Zeit-Kontinuum von Quarantäne, Kontaktverboten oder Homeoffice, verbunden mit dem traditionellen Frühjahrsputz, werden die Wohnungen derzeit immer schöner. Zeit, sich einem weiteren Ort zu widmen: dem Arbeitsplatz.
Dort sollte endlich klar Schiff gemacht werden – zumindest, wenn es nach Marie Kondo und Scott Sonenshein geht. Er ist Arbeits- und Organisationspsychologe an der Rice University in Houston, Texas. Gemeinsam mit Kondo hat er das aktuelle Buch „Joy at Work“ geschrieben.
„Beim Aufräumen geht es um mehr als nur ums Ausmisten“, sagt Sonenshein. „Es geht vor allem darum, sich Zeit zu nehmen, um seine Arbeit und die einzelnen Aufgaben zu reflektieren.“ Gerade in Zeiten des Coronavirus seien wir ohnehin gezwungen, alles auf den Prüfstand zu stellen.
„Wir stellen etwa fest, dass unvermeidliche Prozesse oder langwierige Absprachen nun schnell per Mail geklärt werden“, sagt er. Ein guter Augenblick für grundsätzliche Fragen: Welche Aufgaben und welche Arbeit sind mir wichtig? Was erledige ich mit besonderer Freude? Welche Kontakte brauche ich wirklich? Was genau löst negativen Stress bei mir aus?
Für diesen Prozess hat Kondo einen schon fast esoterischen und „magischen“ Ansatz: Jedes Teil soll beim Aufräumen berührt werden. In diesem Moment soll sich der Besitzer fragen: „Does it spark joy?“ – „Versprüht es Freude?“ Ist das nicht der Fall, kommt es weg.
Genaue Anleitung: Erst Müll, dann Kleinkram, dann Emotionales
Der radikale Ansatz ist auch als KonMari-Methode bekannt. Er hat auch für eine Reihe lustiger Memes gesorgt. Auf Plattformen wie Twitter, Pinterest und Instagram werden neben Tassen und Kugelschreibern auch Ehemänner auf den Prüfstand gestellt.
Diejenigen, die keinen „Joy mehr sparken“, also keine Freude versprühen, müssen weg. Doch was lustig daherkommt, hat einen wahren Kern. Die beiden Autoren sind sich einig: Weniger ist mehr. Sonenshein hat eine Theorie unter dem Namen „Stretch“ entwickelt.
Demnach gibt es zwei Arten des Arbeitens: „stretching“ und „chasing“. Stretcher sind Menschen, die das anerkennen, was sie haben – Fähigkeiten, Materialien oder Geld. Sie gehen damit produktiv, kreativ und effektiv um. Chaser hingegen sind der Überzeugung, dass sie mit den bestehenden Möglichkeiten nie ihr Ziel erreichen, und fordern immer mehr: Dinge, Zeit, Geld oder Mitarbeiter.
Das Buch ist quasi eine Fusion beider Theorien. Während Kondo eher aus ihren Alltagserfahrungen berichtet, unterfüttert Sonenshein die Aussagen mit Ergebnissen aus dem Forschungsbereich der Organisationspsychologie, die viele positive Effekte von Klarheit und Struktur bestätigen.
So erklären die beiden Autoren sehr genau, wie Aufräumwillige vorgehen sollen: Erst wird der Schreibtisch von Müll und Kleinkram befreit, weiter geht es mit Daten, dem Mailpostfach bis hin zu den Kontakten auf LinkedIn und Apps auf dem Smartphone. Denn: Alles Überflüssige raubt Konzentration von Dingen, die Freude bringen.
Sonenshein erklärt: „Es mag angesichts der Coronakrise vermessen klingen, nach der größtmöglichen Freude zu streben.“ Doch darin liege eine unglaubliche Kraft. „Und diese brauchen wir, um Schicksalsschläge wie etwa Krankheiten, einen Jobverlust oder andere negative Gefühle zu verarbeiten.“
Im Chaos das verborgene Glück finden
Bei allen Problemen hofft er, dass seine Leser durch den „externen Schock“ und die Reflexion ihre wahren Interessen und Aufgaben finden. Er selbst hat auf diese Weise auch seinen Job gefunden, der ihn glücklich macht.
Als Absolvent der Elite-Uni Cambridge hatte er einst im Silicon Valley einen Job angenommen. Als dann die Dotcom-Blase platzte, 2001 der Terroranschlag in New York erfolgte, stand seine Welt kopf. Jahrelang dachte er, das richtige zu tun. „Das Dinge so sein müssen“.
Bis sich Sonenshein neu sortierte. „Was will ich?“, habe er sich selbst gefragt. Und das von den Wünschen seiner Freunde und Familie klar getrennt. Das Ergebnis: Er verließ die Tech-Welt, wechselte in die Wissenschaft. „Es war hart“, erinnert er sich. Vor allem, weil sein soziales Umfeld auch mit Unverständnis reagierte.
Doch er ist heute glücklich und glaubt: „Vielleicht ist diese Pandemie für einige eine Chance, ihr Arbeitsleben zu verändern, wie ich damals nach dem Crash der Dotcom-Blase.“ Dafür sei es wichtig, damit aufzuhören, sich mit anderen zu vergleichen, und sich von den Social Media zu trennen. Oder seine dortigen Aktivitäten zumindest stark einzuschränken.
Und zudem: seine Dinge zu sortieren, zu überlegen, was Freude bereitet, was und wer wichtig ist. Denn in diesem Chaos, davon sind die Autoren überzeugt, liegen die wahren Wünsche.
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