Arbeitsalltag: Wie die Coronakrise das Ende des Großraumbüros einleitet
Wer nun ins Büro geht, wird vieles verändert vorfinden.
Die Trennwände sind zurück I Eigentlich wurden die Wände seit den 90er Jahren immer seltener. Wegen Corona finden sie ihren Weg zurück ins Büro. Foto: Kate Sade/unsplash
Wir kennen es bereits aus dem Supermarkt: Trennwände und Wartestreifen. Doch wenn Beschäftigte rund um die Welt früher oder später an ihre Schreibtische zurückkehren, werden sie auch dort als Konsequenz aus der Corona-Pandemie viele Veränderungen vorfinden. Das vermutet zumindest John Furneaux, Topmanager von Hive, einem auf Arbeitsplatz-Software spezialisierten Startup in New York. „Das hier wird ein Impulsgeber sein, Dinge zu tun, die man sich bisher nicht zu tun getraut hat“, sagt er. Die Pandemie gebe „Anstoß, uns und anderen zu erlauben, jahrhundertalte Arbeitspraktiken zu verändern“.
Es könnte schon mit dem Berufsverkehr anfangen – weniger überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln, weil vermehrt in Schichten gearbeitet wird. Oder vielleicht wird auch im Wechsel an bestimmten Tagen, weil das die Büroräume leerer machen würde.
Klar ist: Die Covid-19-Krise wird den Trend zum offenen Arbeitsplätzen und Großraumbüros stoppen. Gerade Technologie-Startups haben das bevorzugt, um die Arbeitsatmosphäre legerer zu gestalten und ein kreatives Umfeld zu schaffen.
Nun kehren an manchen Orten Bürozellen und andere Raumteiler zurück, wie Architekten schildern. So werden etwa im Bostoner Büro der Designfirma Bergmeyer Trennwände zwischen 85 Schreibtischen wieder aufgebaut, die im Laufe der Jahre beseitigt worden waren.
Mietkosten in Milliardenhöhe entfallen
Manche Firmenchefs haben die Vorteile des Homeoffice voll entdeckt. Sie haben keine Eile, ihre Beschäftigten in die Bürogefilde zurückkehren zu lassen. Bei Google, Twitter und Facebook etwa können Angestellte bis Ende des Jahres von zu Hause aus arbeiten. Andere Betriebe haben im Zuge der Corona-Krise erkannt, dass sie überhaupt kein Büro benötigen, dass es auch gut oder vielleicht sogar besser aus der Entfernung geht und dazu dann auch noch die Miete eingespart werden kann.
Das Management beim Teamarbeit-Startup Range im kalifornischen San Francisco hatte vor der Pandemie den Büromietvertrag gekündigt und wollte nach größeren Räumlichkeiten suchen. Dann kamen die Ausgangsbeschränkungen, und die Beschäftigten arbeiteten von daheim. Das lief so gut, dass man sich dazu entschloss, es auf unbegrenzte Zeit dabei zu belassen – und eine sechsstellige Mietsumme fiel weg.
Ein anderer Vorteil liegt darin, dass die Firma bei der Einstellung neuer Mitarbeiter mehr Auswahl hat. Sie muss sich nicht auf Kandidaten aus San Francisco oder der Umgebung beschränken, wo astronomisch hohe Wohnkosten das Angebot an qualifizierten Kräften automatisch einschränken.
Aber Firmen-Mitgründerin Jennifer Dennard sieht auch einen Nachteil: Es kommt nicht mehr zu direkten Begegnungen zwischen Mitarbeitern, die Kreativität erzeugen können. Das Unternehmen will nun diesen Effekt durch verstärkte Online-Zusammenarbeit erzielen.
Anspruch an Büro verändert sich
Good Brothers Digital, eine Firma für Öffentlichkeitsarbeit in Wales, hat seine Büroräume in Cardiff ebenfalls aufgegeben, weil die durch die Pandemie erzwungene Heimatarbeit gut lief. Die Produktivität sei genauso hoch wie vorher, schildert Direktor Martyn John, und nun könne er die Miete – eine seiner höchsten Kosten – einsparen. Warum Leute ins Büro zerren, wenn es sie glücklicher mache, von zu Hause zu arbeiten, argumentiert er.
Und dieser Trend wird sich nach Einschätzung der US-Unternehmensberaterfirma Gartner auch weiter beschleunigen, wenn die Pandemie eines Tages vorüber ist. Demnach hat eine Umfrage unter 220 Personalschefs ergeben, dass 41 Prozent der Beschäftigten erwarten, danach zumindest teilweise aus der Entfernung zu arbeiten, während es vor dem Corona-Ausbruch 30 Prozent waren.
Nicht alle Unternehmen können ganz auf Heimarbeit umschwenken, besonders nicht große mit Tausenden Beschäftigten. Aber sie denken sorgfältig darüber nach, wer ins Büro zurückkehren sollte und wer weiterhin von zu Hause aus arbeiten könnte.
Bei der Computerfirma Dell werden künftig mehr Mitarbeiter aus der Ferne im Einsatz sein, „aber wir werden weiter Büros benötigen“, sagt die für digitale Planung zuständige Managerin Jen Felch. Manche Jobs ließen sich am besten dort erledigen. Als Beispiel nennt Felch Kundendienstmitarbeiter, die im Büro bessere Ressourcen hätten, Probleme mit der Ausrüstung zu diagnostizieren.
Dell lässt während der Pandemie mehr als 90 Prozent seiner 165.000 Vollzeitkräfte weltweit von daheim arbeiten. Vor dem Ausbruch waren es 30 Prozent. Nach dem Ende wird der Managerin zufolge die Zahl bei über 50 Prozent liegen.
Sensoren, die an Abstand erinnern
Unternehmen werden auch Hygiene am Arbeitsplatz viel ernster nehmen müssen. „Die Zahl der Menschen, die ein Büro reinigen und desinfizieren, wird haushoch werden“, sagt Brian Kropp, der bei Gartner für Personalforschung zuständig ist. Heikel dürfte vor allem das Abhalten von Konferenzen werden. Oder lässt man sie am besten ganz bleiben?
„Was nützt es, den Schreibtisch von jedem zu desinfizieren, wenn man sie alle dann in einem einzigen Raum hat“, gibt Furneaux vom Startup Hive zu bedenken. Er jedenfalls denkt nach eigenen Angaben sorgfältig darüber nach, wie er direkte Zusammenkünfte seines 70-köpfigen Mitarbeiterstabes sicher bewerkstelligen kann oder ob er vielleicht auf Telefonkonferenzen innerhalb des Büros umsteigt.
High-Tech-Lösungen werden gewiss eine Rolle spielen, so etwa Sensoren, die Beschäftigte daran erinnern, sicheren Abstand zu halten“, wie die Vizepräsidentin für Gesundheitsfragen und Sicherheit beim IT-Unternehmen IBM, Joanna Daly, sagt. Als eine Möglichkeit kann sie es sich gut vorstellen, dass „unsere Telefone klingeln, wenn wir uns während eines Gesprächs auf mehr als zwei Meter nahe kommen“.
Mehr: Jobstart im Homeoffice. Ein Adidas-Mitarbeiter berichtet.