Mitarbeiterüberwachung: Dieser Detektiv ist Homeoffice-Betrügern auf der Spur
Norbert Idel spioniert Angestellten bei der Heimarbeit nach. Wie er vorgeht – und was Blaumachern droht.
Detektivarbeit kann so einfach sein: Norbert Idel klingelt bei der Nachbarin, um sich nach dem Vertriebler von Gegenüber zu erkundigen. Der habe sein Auto zum Verkauf angeboten, erzählt Idel, doch er könne ihn nicht erreichen. Kein Wunder, entgegnet die Dame an der Haustür, der Nachbar sei ja auch schon seit Tagen in Urlaub.
Es braucht nicht lange – und schon ist der Solinger Detektiv dem Homeoffice-Betrüger auf der Spur. Idels Interesse gilt keineswegs dem Auto. Er wurde beauftragt, um Beweise zu sammeln. Beweise, dass der Vertriebler im Homeoffice nicht arbeitet. Der Chef hatte Verdacht geschöpft, weil sein Mitarbeiter nur zögerlich auf Mails und Anrufe reagiert hatte und zu Hause nicht anzutreffen war.
Und tatsächlich: Der Gesuchte ist im Urlaub auf einem Campingplatz in den Niederlanden, wie Idel mit Fotos dokumentiert. Nur eines macht der Vertriebler nicht: seine eigentliche Arbeit.
Detektive, die Berufstätigen nachspionieren, ob sie auch wirklich arbeiten? Ja, das gibt es. Zwar haben Unternehmen auch früher schon Detektive auf Mitarbeiter angesetzt, etwa, wenn Angestellte sich mehrfach bei der kleinsten Erkältung wochenlang krankschreiben ließen. Doch seit Beginn der Pandemie ist das Homeoffice der neue Rückzugsort für chronische Arbeitsverweigerer.
Unter Verdacht: Nur eine Minderheit der Angestellten nutzt die neue Situation aus
Klar ist: Das Gros der Beschäftigten arbeitet sehr gewissenhaft zu Hause – häufig sogar länger als im Büro. Und doch gibt es Angestellte, die die neue Situation ausnutzen. Reichte vor Beginn der Pandemie ein Blick ins Büro, müssen Chefs ihren Mitarbeitern nun stärker denn je vertrauen.
Inzwischen ist fast die Hälfte der Unternehmen in Deutschland skeptisch, ob ihre Angestellten im Homeoffice genauso produktiv sind wie im Büro, zeigt eine Befragung des Personaldienstleisters Randstad und des Ifo-Instituts unter 1000 Firmen.
Bei manchen geht die Skepsis so weit, dass sie Detektive engagieren. Von einem Nachfrage-Boom wollen die Berufsverbände der Detekteien zwar nicht sprechen. Doch mit der Pandemie steigt die Zahl der Betriebe, die ihren Mitarbeitern nun auch im Homeoffice nachspionieren, wie mehrere Detekteien übereinstimmend berichten.
Und: Die Lage dürfte sich in den kommenden Wochen weiter verschärfen, weil immer mehr Regionen in Deutschland als Risikogebiet ausgewiesen werden – und damit auch wieder mehr Beschäftigte vom Büro ins Homeoffice wechseln dürften.
Der Solinger Detektiv Idel überprüft derzeit bei jedem dritten seiner Aufträge Angestellte bei der Heimarbeit, zum Höhepunkt der Pandemie waren es sogar noch mehr. „Viele meiner Kunden sind gerade sehr verunsichert, ob ihre Mitarbeiter im Homeoffice auch wirklich das tun, wofür sie bezahlt werden“, sagt Idel.
Im Recht: Willkürliches Nachspionieren ist verboten
Der Privatermittler hat in den vergangenen Monaten mit vielen Firmenchefs gesprochen – von Kleinstbetrieb bis Konzern. Ein Drittel der Anfragen hat der 62-Jährige abgelehnt. Denn wenn eine Firma hofft, unliebsame Mitarbeiter durch einen Detektiv loszuwerden, funktioniert das schon rein rechtlich nicht.
Unternehmen brauchen einen begründeten und konkreten Anfangsverdacht, dass der Angestellte im Homeoffice nicht arbeitet – sei es ein Hinweis aus der Belegschaft, dass der Kollege nur schlecht zu erreichen ist, oder die Tatsache, dass jemand seit Monaten schlechte Ergebnisse abliefert. Wenn Firmen ihre Mitarbeiter willkürlich beschatten und das auffliegt, drohen Schadensersatzklagen.
Ist der Auftrag erteilt und sind Datenschutz- und Verschwiegenheitserklärung unterschrieben, stehen den Privatermittlern zwei Methoden zur Verfügung.
- Erstens: Die Detektive können, ähnlich wie Polizeibeamte, im Umfeld des Betroffenen ermitteln – so wie es Idel im Falle des Holland-Urlaubers mit der vorgetäuschten Autokauf-Geschichte gemacht hat.
- Zweitens: Sie observieren. Was spektakulär klingt, ist in der Praxis meist langweilig: im Auto sitzen, um das Haus spazieren, beobachten und warten.
Der frühere Zeitsoldat Idel erzählt von der viertägigen Observation eines Verkaufsleiters. Die Zielperson, kurz ZP – wie zu Beschattende im Detektivjargon heißen, ließ sich lediglich zwei Mal am Tag vor der Tür blicken: um den Müll rauszubringen und die Post reinzuholen.
„Wenn ein Mitarbeiter den ganzen Tag zu Hause ist, können wir nur schwer überprüfen, ob er dort wirklich arbeitet oder doch nur Netflix schaut“, sagt Idel.
Natürlich versuche er, vom gegenüberliegenden Hochhaus oder Hügel Einblicke in den Heimarbeitsplatz zu bekommen, doch das gelinge nicht immer. Im Zweifel ist der Angeklagte freigesprochen. Doch in 80 Prozent der Fälle überführt Idel die Homeoffice-Betrüger.
Erwischt: Betrügern droht die Kündigung
In vielen Fällen führt das bei den Betroffenen zu einer Kündigung. Doch ein Automatismus sei das nicht, erklärt der Viersener Arbeitsrechtler Sebastian Schröder, das hänge vom Einzelfall ab. „Arbeitszeitbetrug im Homeoffice kann auch mit einer Abmahnung geahndet werden.“
Detektiv Idel weiß in den meisten Fällen nicht, was aus den Homeoffice-Betrügern wird, außer wenn er vor dem Gericht als Zeuge aussagen muss. Doch meistens einigen sich Firmen und Mitarbeiter außergerichtlich.
Der Gesetzgeber hat Ermittlungen der Privatermittler enge Grenzen gesetzt: Detektive dürfen nur im öffentlichen Raum ermitteln, sich keinesfalls Zugang zur Wohnung verschaffen, sonst begehen sie Hausfriedensbruch.
Doch Idel gibt zu, dass es mitunter auch schon mal etwas rabiater zugehe. Natürlich habe die Branche keinen Heiligenschein. „Wir klettern auch schon mal über einen Zaun, um zu sehen, ob das Auto noch vor der Garage steht.“
Der Solinger beschäftigt deutschlandweit ein Dutzend Detektive. Was sie eint: die Kunst, nicht aufzufallen. Denn wer tagelang vor einer Wohnung wartet, schürt bei Nachbarn Misstrauen. Nach über 40 Jahren im Geschäft weiß Idel sich zu tarnen. Fragenden Mitbürgern sagt er, dass er für die Verkehrszählung arbeite oder die Qualität der Luft messe.
In jedem Fall ist die Polizei vorgewarnt, sodass ein Streifenwagen mit Blaulicht nicht für unnötige Aufmerksamkeit sorgt.
Hohe Kosten: Der Aufwand lohnt nicht immer
Diesen Aufwand lassen sich die Privatermittler gut bezahlen: 800 Euro Tagessatz ist eher das untere Ende der Preisskala für die Ermittler. Doch ein Tag und ein Privatermittler reichen längst nicht aus, viele Richter verlangen längere Observationen und Zeugenaussagen von mehreren Detektiven, bevor sie die Kündigung als rechtmäßig erachten. Schnell kommen so Rechnungsbeträge von 10.000 Euro und mehr zusammen.
Das lohnt sich nur für Firmen, die langjährige Angestellte loswerden wollen, die hinter ihren Leistungen zurückbleiben und deren Freistellung hohe Abfindungszahlungen hervorrufen würde. Das weiß auch Rechtsanwalt Schröder. „Ein Detektiv ist für Unternehmen das praktisch letzte Mittel zur Aufklärung.“
Bei einem solchen Auftrag hätten Betriebe immer das Ziel, Beweismaterial für schwerwiegende Pflichtverletzungen des Angestellten zu sammeln.
Bessere Alternative: Gespräch suchen statt Detektiv anheuern
Für die Dortmunder Arbeitspsychologin Hannah Schade ist das der einzig nachvollziehbare Grund, warum Firmen Detektive beauftragen sollten. Dass es sich um begründete Ausnahmen handelt, müssten Betriebe auch so kommunizieren. Ansonsten würden Privatermittler für ein „Klima des Misstrauens und der Angst“ sorgen.
Die Wissenschaftlerin, die am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund forscht, rät zu einem Mitarbeitergespräch: Selbst bei Angestellten, die schon längere Zeit hinter ihren Leistungen zurückbleiben, könnten Manager im direkten Austausch die Gründe besser erfragen. Liegt es an den Aufgaben? An den Arbeitszeiten? Oder doch an den Kollegen? Ein Privatermittler könne darauf keine Antworten liefern, sagt Schade.
Detektiv Idel beurteilt das naturgemäß anders. „Firmen können Detektiveinsätze auch als heilsame Prävention einsetzen“, findet der 63-Jährige. „Dann wissen Beschäftigte, dass Blaumacher Konsequenzen fürchten müssen.“
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