Risiko Heimarbeitsplatz: Home Office geht auf die Psyche
Es ist nicht die Einsamkeit im häuslichen Büro, die krank macht.
Im Zwiespalt Einfach arbeiten: Legere Kleidung, ruhige Umgebung, volle Konzentration – Home Office kann angenehm, aber auch äußerst anstrengend sein. Diese Arbeitsform ist zudem eine Typfrage. Foto: Kinga Cichewicz on Unsplash
Zuhause arbeiten fällt schwerer als gedacht: Zwar können Angestellte quälende Verkehrsstaus umgehen – und in legerer Kleidung bequem ihren Job machen.
Die meisten schaffen im Home Office sogar mehr. Doch der Übergang zwischen Arbeits- und Privatleben ist fließend, abschalten für viele unmöglich.
Aufstehen, Anziehen, Laptop an: Der Weg ins Home Office ist kurz. Immer mehr Arbeitnehmer machen zumindest tageweise ihre Wohnung zum Büro.
Seit 2017 habe sich das Angebot der Home Office-Stellen in Deutschland sogar „mehr als verdoppelt“, zeigte erst kürzlich eine Studie des Bildungsanbieters WBS Gruppe.
Mails, Telefonkonferenzen, ja ganze digitale Team- und Softwareprojekte lassen sich ungestört zu Hause erledigen, wenn die Bandbreite stimmt.
Drei Viertel derer, die zu Hause arbeiten, meinen, dass sie dort konzentrierter arbeiten, zwei Drittel schaffen am Wohnzimmertisch mehr Arbeit als im Betrieb, wie eine AOK-Umfrage ergab.
Doch die Krankenkasse warnt: Das flexible Arbeiten kann psychische Belastungen verstärken, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen.
Im Zwiespalt: Mal reizt der Job, mal der Kollege
Home-Office-Arbeitsplätze sind besonders verbreitet in der Telekommunikation, in Vertrieb und Verkauf sowie in Technischen Berufen. Durch die Digitalisierung ist das Arbeiten an mobilen Endgeräten gerade in diesen Bereichen fester Bestandteil des Arbeitsalltags.
Gleichzeitig trage „der Fachkräftemangel in diesen Berufsgruppen dazu bei, dass die Firmen ihnen das ortsunabhängige Arbeiten als Anreiz für eine Bewerbung in Aussicht stellen“, so die WBS-Studie.
Doch was gerade noch als Vorteil wirkte, hat sich bei manchen bereits ins Gegenteil verkehrt: „Dienstliche Probleme werden gedanklich weiterbearbeitet, wenn man zu Hause ist, weil dort die Arbeit jederzeit wiederaufgenommen werden könnte“, erklärt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
Wer zu Hause immer wieder den Rechner hochfährt oder zum Handy mit den Dienstmails greift, ist demnach meist nervöser und reizbarer als die Kollegen, die ihre Arbeit im Büro zurücklassen.
Überzeugender Vorteil: Ruhiger Arbeitsplatz
Etwa 40 Prozent der Unternehmen ermöglichen es ihren Beschäftigten, von zu Hause zu arbeiten, wie auch andere Studien ergaben. Laut Statistischem Bundesamt arbeitete 2017 etwa jeder neunte Beschäftigte gewöhnlich oder gelegentlich zu Hause.
In anderen EU-Staaten wie den Niederlanden und Schweden ist es schon mehr als jeder Dritte.
Wer im Home Office arbeite, sei in der Regel zufriedener als andere Arbeitskräfte, fand das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung heraus. Denn Büros sind häufig keine Oase der Ruhe.
Immer mehr Arbeitgeber pferchen ihre Beschäftigten in Großraumbüros zusammen. Allein im Dienstleistungssektor fühlt sich jeder Zweite sehr häufig oder oft gestört, unter anderem durch Telefonate oder Kollegen, fand die Gewerkschaft Verdi heraus.
Keine Hektik: Familienfreundliches Angebot
Home Office zählt neben Teilzeit und Sabbatical-Auszeiten zu den Angeboten, mit denen sich Arbeitgeber als familienfreundlich profilieren. Vorteile hat, wer morgens noch sein Kind zur Kita bringen kann, statt schon auf dem Weg zur Arbeit im Stau zu stehen – und der dann doch pünktlich am Rechner sitzt, zu Hause.
Beschäftigte und Manager halten ihre Firmen heute für familienfreundlicher als noch vor drei Jahren, wie eine aktuelle Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft für das Bundesfamilienministerium ergab.. Aber noch immer sieht jeweils mehr als die Hälfte der Befragten keine ausgeprägte familienfreundliche Unternehmenskultur.
Grobe Fehleinschätzung: Hoher Erschöpfungsgrad
Home Office kann aber auch Überhand nehmen. Der AOK-Umfrage zufolge empfindet knapp jeder Fünfte das Arbeiten von zu Hause als Belastung, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwere. Drei Viertel fühlten sich im vergangenen Jahr erschöpft.
Den Grund dürfte dieses Ergebnis offenlegen: Laut der Umfrage macht jeder Dritte sein Home Office häufig auch abends und am Wochenende auf. Überstunden sind keine Seltenheit.
„Der Nachteil ist, dass die Grenzen zwischen Job und Privatleben verschwimmen“, sagte AOK-Wissenschaftler Schröder. „Der private Rückzugsraum und die Zeit für Erholung schrumpft.“