Arbeitsmarkt in der Pandemie: Digitaler, traditioneller, grüner: Wie Corona die Arbeitswelt verändern wird
Sieben Trends, wie die Pandemie die Personalarbeit der Unternehmen und die Karrierepläne von Managern und Mitarbeitern beeinflussen kann.
Videokonferenz I Videokonferenzen und Telefonkonferenzen statt Meetings, zu denen man teilweise reisen musste.
Wenn es um Veränderungen geht, sprechen Personaler gern von einem Change-Prozess. So gesehen, ist die Corona-Pandemie das wohl größte Organisationsexperiment aller Zeiten. Es ist nicht nur ein Stresstest für die Wirtschaft, sondern auch eine Blaupause für die Arbeitswelt. Was uns das Virus auferlegt hat, wird sich langfristig auf Arbeitsplätze, das Berufsleben, ja sogar auf unsere Karriereverläufe auswirken.
Für Nicole Mai, Beraterin bei Russell Reynolds, „wird das Jahr 2020 in die Geschichte eingehen, weil es einen erheblichen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie wir künftig zusammenarbeiten.“ Walter Jochmann, Geschäftsführer der Managementberatung Kienbaum, sieht in der „Dramatik der Krise ein nie dagewesenes Momentum für die Personalabteilungen, das bahnbrechende Veränderungen auslösen wird“.
Doch wie genau kann die Pandemie die Arbeitswelt und Personalarbeit verändern? Das Handelsblatt hat Studien gewälzt, mit Experten und Führungskräften gesprochen – und sieben Trends identifiziert.
Trend 1: Re-Traditionalisierung der Frauenkarrieren
Die Väter gehen zur Arbeit, die Mütter bleiben zu Hause und kümmern sich um die Kinder. Was wie ein Rollenbild aus einer längst vergangenen Zeit wirkt, ist durch die Pandemie aktueller denn je.
Weil Kitas und Schulen geschlossen waren und ein regulärer Betrieb noch nicht in Sicht ist, müssen etliche Kinder zu Hause betreut und unterrichtet werden. Und dafür haben vor allem die Frauen ihre Arbeitszeit reduziert, zeigt eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
So haben 27 Prozent der befragten Mütter mit Kindern unter 14 Jahren weniger gearbeitet, bei den Männern waren es nur 16 Prozent. „Selbst bei Paaren, die sich zuvor die Arbeit geteilt haben, übernehmen jetzt Frauen vermehrt die Sorgearbeit“, sagt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.
Das gilt laut Studie vor allem für Familien mit einem niedrigeren Einkommen. Denn gerade ärmere Familien können es nicht leisten können, wenn der Mann weniger arbeitet. Schließlich verdient das männliche Geschlecht im Schnitt ein Fünftel mehr als das weibliche.
Für die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger ist das eine entsetzliche Entwicklung, Frauen würden „bestimmt drei Jahrzehnte verlieren“, ließ sie jüngst in einer Talkshow verlauten. Und so sorgt die Pandemie für eine Re-Traditionalisierung des Frauenbildes – was in der Arbeitswelt die ohnehin ungleichen Chancen von Frauen weiter erschwert.
„In der Krise können die Menschen in einen früheren Führungsstil zurückfallen, bei denen auch mal ein Machtwort gesprochen wird, um scheinbar schnell zu einer Entscheidung zu kommen“, beobachtet Russell-Reynolds-Berater Immo Futterlieb. Ein Stil also, der eher männlichen Managern zugesprochen wird.
Futterliebs Kollegin Mai ergänzt: „Es braucht zukünftig noch mehr Kraft von allen Beteiligten, um die unbestrittenen Vorteile von Diversität im Management durchzusetzen.“
Dabei waren es vorwiegend Frauen, die die Gesellschaft durch die Krise getragen haben, weil der Frauenanteil in Krankenhäusern, Apotheken und Supermärkten eben besonders hoch ist – und doch scheinen sie davon nicht zu profitieren.
Trend 2: Durchbruch der mobilen Arbeit
Mal im Homeoffice arbeiten, mal im Büro – für Managerin Masa Schmidt ist das nichts neues. Schließlich hat ihr Arbeitgeber Microsoft schon vor Jahren den Vertrauensarbeitsort eingeführt – so wie viele Firmen in der IT-Branche.
Doch für die meisten war die Heimarbeit in der Krise eine völlig neue Situation. Gerade einmal zwölf Prozent arbeiteten vor Corona im Homeoffice, Schätzungen der Universität Mannheim zufolge hat sich der Anteil durch die Pandemie auf 25 Prozent mehr als verdoppelt.
Ein Trend, der sich nach Ansicht von Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager (BPM), fortsetzen wird. Die Krise habe die Unternehmen zu einem großen Homeoffice-Test gezwungen.
„Alle, von Betriebsrat bis Aufsichtsrat, haben eine ganz steile Lernkurve hingelegt.“ Selbst die Unternehmen, die der Heimarbeit bislang kritisch gegenüberstanden, seien eines Besseren belehrt worden.
Und so werden Videomeetings und Telkos künftig zum Arbeitsalltag genauso dazu gehören wie das Mittagessen in der Kantine. Mitarbeiter werden die Freiheit haben, ob sie von zu Hause arbeiten oder ab und an mal ins Büro kommen.
Ein gesetzlich verankertes Recht auf Heimarbeit, das Arbeitsminister Hubertus Heil ins Spiel gebracht hat, lehnt Dransfeld-Haase mit Verweis auf die zusätzliche Bürokratie allerdings ab: „Wenn Unternehmen Top-Talente gewinnen wollen, können sie sich spätestens nach der Krise ohnehin keine reine Präsenzkultur mehr leisten.“
Trend 3: Eine neue Führungskultur ist gefragt
Mit dem Durchbruch der mobilen Arbeit müssen sich auch Führungskräfte umstellen. „Sie müssen lernen, ihre Mitarbeiter aus der Ferne viel genauer anzuleiten und achtsamer mit deren Ängsten und Nöten umgehen“, sagt Berater Futterlieb.
Und Manager müssen ihren Mitarbeitern mehr Vertrauen. „Trust is the new control“ steht nicht ohne Grund auf dem Sticker, der auf dem Laptop von Microsoft-Managerin Schmidt klebt. Ob ihre Kollegen gerade Mails schreiben oder doch auf dem Balkon entspannen, weiß Schmidt oft nicht. „Mir ist das ehrlich gesagt auch egal“, beim nächsten Mitarbeitergespräch würde es ohnehin auffallen.
Kontrolle abgeben und Vertrauen aufbauen – was Schmidt mit Leichtigkeit erzählt, fällt vielen Managern noch schwer. Und es ist auch nicht ganz einfach, aus der Ferne zu führen: häufiger mal loben, Zeit für Einzelgespräche nehmen, klarer kommunizieren – das sind nur einige der neuen Aufgaben.
Trend 4: Die digitale Rekrutierung wird wichtiger
Ein Vorstellungsgespräch per Webcam? Das war vor der Krise die Ausnahme. Doch die Pandemie hat die Unternehmen dazu gezwungen, ihre Bewerbungsabläufe zu digitalisieren. Zwar haben viele Firmen einen Einstellungsstopp, doch diejenigen, die gerade einstellen, stehen vor großen Herausforderungen, wie eine gemeinsame Umfrage der Jobplattform Stepstone und des BPM zeigt.
Resultat: Gut jeder zweite Recruiter hat in der Krise festgestellt, dass ihm Know-how und Erfahrung bei digitalen Bewerbungsprozessen fehlen. Doch die Erfahrungen der vergangenen Wochen dürften wertvoll gewesen sein, 56 Prozent der Befragten erwarten, dass sie demnächst häufiger auf virtuellen Wegen Bewerber rekrutieren.
„Corona hat den HR-Abteilungen keine andere Wahl gelassen, als sich vertieft mit der digitalen Rekrutierung auseinanderzusetzen“, sagt BPM-Präsident Dransfeld-Haase. Und so müssen sich Bewerber zukünftig zumindest beim Erstgespräch auf ein virtuelles Vorstellungsgespräch einstellen. Zwar ist es für Jobsuchende schwieriger per Webcam zu überzeugen, und auch Personaler können die Kandidaten nicht so umfassend kennenlernen wie bei einem realen Treffen – doch die Webcam-Variante hat auch Vorteile: Bewerber sparen sich ihre Anreise, Unternehmen die Reisekosten.
Für die finalen Interviews dürften die meisten Firmen aber weiter auf ein persönliches Kennenlernen setzen – wenn es denn wieder möglich ist.
Auch der Jobeinstieg musste in der Krise vielerorts virtuell ablaufen. Für die meisten Firmen ein Novum, legt eine Umfrage des E-Recruiting-Anbieters Softgarden nahe. Demnach haben 70 Prozent der befragten Firmen keine Erfahrung mit dem sogenannten virtuellen Onboarding.
So auch für Adidas. Der Sportartikelhersteller hat in der Krise mehrere Dutzend Mitarbeiter angestellt. Die Neulinge können ihre Kollegen nur durch Videokonferenzen kennenlernen. Irgendwie funktioniert das, doch Personaler Georg Fuchs sehnt frühere Zeiten herbei. „Der persönliche Eindruck für das Aufbauen der Beziehungen ist durch nichts zu ersetzen.“ Und so wird die Pandemie zwar den Rekrutierungsprozess weiter digitalisieren – aber persönliche Treffen sind auch in der künftigen Arbeitswelt unabdingbar, gerade bei Bewerbungsgesprächen und beim Jobeinstieg.
Trend 5: Talente verwöhnen
Die Gesundheit ihrer Mitarbeiter stand bislang nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der meisten Unternehmen. Durch Corona haben sich die Prioritäten aber verschoben: Das neue Mantra: Gesundheit ist wichtig!
„In der gegenwärtigen Pandemie wird uns fast täglich die Bedeutung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes teilweise dramatisch vor den Augen geführt“, sagt auch Karlheinz Sonntag, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologe der Uni Heidelberg. Der Experte erwartet, dass sich Unternehmen verstärkt um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, aktuell auch bei Homeoffice, kümmern werden:
Die dynamischen Umfeldbedingungen durch Digitalisierung und demographischen Wandel steigerten erheblich den Bedarf, „Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten aufrechtzuerhalten“.
Der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky erwartet in den kommenden Monaten viele Diskussionen zum Thema Gesundheits-Checks und -Apps, mit denen Unternehmen ein neues Verständnis von Solidarität in der Belegschaft entwickeln könnten. Sich überprüfen zu lassen, um die Kollegen nicht zu gefährden, sei etwa über eine Gesundheitsschranke am Eingang der Unternehmen zu regeln. „Technisch ist das machbar.“
Die Firma kümmert sich zukünftig nicht nur um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter, sondern „unterstützt das gesamte private und berufliche Leben seiner Angestellten“, sagt Kienbaum-Berater Jochmann. „Das Feel-Good-Management der Belegschaft wurde in den vergangenen Jahren von vielen Unternehmen belächelt – doch durch Corona wird es wichtiger denn je.“ Schon jetzt würden sich Firmen im Silicon Valley fast schon rührend um ihre Angestellten kümmern.
So würden Unternehmen dort neue Mitarbeiter bei der Wohnungssuche unterstützen, sie finanzieren die Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, unterstützen bei der Finanzierung der Kinderbetreuung, buchen Coaches für private und berufliche Anliegen, bestellen gesundes Essen für die Kantine, bieten Kooperationen mit Fitnessstudios, unterhalten einen Friseursalon auf dem Firmengelände, organisieren die technische Ausstattung im Homeoffice oder stellen eine App zur Verfügung, bei der alle Gehaltsfragen und Ansprechpartner intuitiv hinterlegt sind – und zwar für alle Angestellten.
Der Trend der Fürsorge-Firma werde über den Atlantik schwappen, glaubt Kienbaum, weil es für Unternehmen immer schwerer werde, gute Leute zu halten – und das gelte auch nach dem Ende der Pandemie.
Trend 6: Purpose statt Panik
Es ist ein Begriff, der ganze Ratgeberregale füllt: „Purpose“ – was auf Deutsch so viel wie „Zweck“ oder „Bestimmung“ heißt. In Zeiten, in denen Unternehmen die Details der Kündigungsschreiben ausarbeiten, scheint das auf den ersten Blick kein wichtiges Thema für die HR-Abteilungen zu sein.
Und doch, sagt BPM-Präsidentin Dransfeld-Haase, sei es für Firmen in der Pandemie wichtiger denn je einen Purpose zu haben.
„Wenn Mitarbeiter wissen, warum sie etwas tun und wofür sie da sind, dann gibt ihnen das gerade in der Krise Halt und Orientierung und verhindert, dass sie in Panik verfallen.“ Firmen, die noch keinen ausformulierten Purpose haben oder denen das Thema nicht so wichtig ist, würden gerade in Zeiten von Kurzarbeit und drohenden Entlassungen merken, dass ihre Belegschaft auseinanderfalle, so Dransfeld-Haase, die im Hauptberuf Personalchefin des Zuckerproduzenten Nordzucker ist.
Und so dürfte die Krise dafür sorgen, dass immer mehr Firmen sich eine Bestimmung festschreiben. Denn „in Firmen, die ein klares Selbstverständnis haben, würden die Mitarbeiter auch in der Krise Vorschläge für Innovationen machen, und sie seien eher bereit, sich umzuqualifizieren“.
Auch nach der Krise, da sind sich die Experten einig, wollen gerade die Top-Talente mit dem Gefühl nach Hause gehen, etwas Sinnvolles getan zu haben. Davon profitiert auch das Unternehmen. Denn wer es schafft, seinen Angestellten jeden Tag das Gefühl zu geben, einen höheren Zweck mit der Arbeit zu verfolgen, bekommt Mitarbeiter, die sich stärker engagieren und das womöglich noch zu einem geringeren Gehalt. Das dürfte gerade den Finanzchefs der Firmen gefallen – und zwar nicht nur in der Krise.
Trend 7: Das Öko-Image wird entscheidend
Seitdem fast alle Flieger auf dem Boden bleiben, machen viele Unternehmen die Erfahrung, dass virtuelle Geschäftstreffen mitunter effizienter sind als wenn Manager vorher um den halben Globus reisen. So wird die Krise die Umweltbemühungen der Unternehmen weiter verstärken, erwarten Experten. 90 Prozent wollen künftig die Notwendigkeit von Firmenreisen sorgfältiger überprüfen, zeigt auch eine Umfrage des Verbandes Deutsches Reisemanagement (VDR) bei seinen Mitgliedsfirmen. Sechs von zehn Firmen können sich vorstellen, bei Inlandsterminen häufiger per Pkw und Bahn anzureisen.
Erfahrungen, die auch Berater Futterlieb macht. „Ich habe in Diskussionen mit meinen Klienten durchaus das Gefühl, dass demnächst häufiger überdacht wird, ob es wirklich ein Flug sein muss oder ob das Anliegen nicht auch per Videokonferenz geklärt werden kann.“ Gerade die Generation, die demnächst in die Führungsetagen strebt, sei es gewohnt, virtuelle Meetings abzuhalten, so Futterlieb. Bei allen grünen Bemühungen: Die Firma spart auch bares Geld, wenn sie ihre Manager vor den Bildschirm setzt und keine Business-Class-Tickets buchen muss.
Schon vor der Krise gaben sich Deutschlands Unternehmen besonders nachhaltig und bemühten sich medienwirksam um ihre ethische Verantwortung. Dabei haben nur wenige Dax-Konzerne eine ausgearbeitete grüne Personalstrategie. Das dürfte sich nach der Krise ändern, sagt Beraterin Mai. „Nachhaltiges Wirtschaften wird immer wichtiger, denn der Druck aus Gesellschaft und Politik wächst – und damit auch der Investoren.“
Was hinzukommt: Die Ökomaßnahmen der Firmen sind ein immer wichtigeres Marketingmittel bei der Personalsuche und helfen gerade jüngere Beschäftigte zu halten und zu motivieren. Denn für sie, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, ist ein nachhaltiger Arbeitgeber bei der Berufswahl sogar wichtiger als ein hohes Gehalt.
Und das dürfte nach der Krise ohnehin nicht in jedem Unternehmen drin sein.