Berufseinstieg in der Krise: Corona zum Trotz: Mit Flexibilität ist Karriere möglich
Kurzarbeit, Einstellungsstopp, Homeoffice: Vier junge Arbeitnehmer berichten, wie bei ihnen Jobsuche, Bewerbung und Einarbeitung in Zeiten von Covid-19 abgelaufen sind.
Virtuelle Meetings Erstes Kennenlernen am Bildschirm: Zur neuen Normalität gehört es, sich via Zoom oder Teams mit den Kollegen auszutauschen. © Karriere Foto: Anne Damm
Den 16. März 2020 wird Carolin Czarnecki nicht vergessen. Während die Corona-Pandemie das Leben in Deutsch-land lahmlegte, Schulen und Kindergärten, Kneipen, Kinos und Schwimmbäder schließen mussten, begann für die Uni-Absolventin ein neues Kapitel in ihrem Leben. Sie hatte ihren allerersten Arbeitstag als Junior-Content-Managerin nach dem Studium.
„Ein verrückter Zeitpunkt, um ins Berufsleben zu starten“, sagt Czarnecki rückblickend. Genau fünf Arbeitstage in den Büroräumen des Kölner E-Commerce-Unternehmens Sellvin blieben der 27-Jährigen, um sich in einem Crashkurs mit den wichtigsten Programmen und Abläufen vertraut zu machen.
Dann wurde die Berufseinsteigerin – wie ihre Kollegen – ausgestattet mit Laptop, Telefon „und einer Notration Toilettenpapier“, ins Homeoffice geschickt – auf unbestimmte Zeit. Die weitere Einarbeitung erfolgte über Videokonferenzen und per Telefon.
Trotz des außergewöhnlichen Starts ist Czarnecki, die erst wenige Wochen zuvor ihren Master im Studiengang „Comparative Studies in English and American Language, Literature and Culture“ an der Universität Düsseldorf absolviert hatte, „froh, dass ich noch vor dem Lockdown meinen Arbeitsvertrag in der Tasche hatte. Viele Kommilitonen hatten da weniger Glück“.
Stellensuche in der Krise
Einstellungsstopps, Kurzarbeit, drohende Kündigungswelle – die Corona-Pandemie hat den deutschen Arbeitsmarkt durcheinandergewirbelt. Da wundert es nicht, dass die Verunsicherung gerade unter Absolventen und jungen Arbeitnehmern groß ist. Schließlich sind sie gerade erst dabei, in der Jobwelt Fuß zu fassen.
Und das war in den vergangenen Monaten alles andere als leicht: Die Zahl der offenen Stellen ist mit dem Shutdown eingebrochen. So verzeichnete die Online-Stellenbörse Indeed Ende Mai 2020 einen Rückgang der neuen Stellenangebote von 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seitdem hat sich der Arbeitsmarkt zwar leicht erholt, lag aber Anfang September immer noch 23 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Auch die deutsche Industrie war massiv betroffen: Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, ist die Beschäftigtenzahl in den Betrieben des verarbeitenden Gewerbes Ende Juli um 164.000 Personen oder 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt gesunken. Das ist der stärkste Rückgang seit 2010.
Doch es gab auch vereinzelt gute Nachrichten: Jobchancen für junge Arbeitnehmer boten dem Sales-job-Index zufolge in den Sommermonaten Unternehmen, die gezielt Nachwuchskräfte im Bereich Vertrieb suchten. Vor allem im Groß- und Einzelhandel so-wie im Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor sind junge Verkaufstalente gefragt.
Abschied von der Wunschbranche
„Bewerber sollten jetzt flexibel sein und sich zumindest vorläufig von der Wunschbranche verabschieden, wenn diese gerade extrem gebeutelt ist“, rät der Kölner Karriere-Coach Bernd Slaghuis. „Gucken Sie rechts und links! Gesucht sind derzeit zum Beispiel Kandidaten für alle Jobs im Gesundheitswesen, in der Pharma- und Biotech-Branche sowie in vielen Bereichen rund um neue Technologien, wie KI und E-Mobilität. IT-Fachleute bleiben in allen Branchen gefragt, beispielsweise Cloud-Ingenieure, Softwareentwickler und Datenbank-Experten.“
Selbst in diesen Boombranchen war der Jobwechsel in den zurückliegenden Monaten jedoch eine Herausforderung. So hat es zumindest Ronak Chauhan empfunden. Der 30-jährige Software-Entwickler war im Frühjahr auf Jobsuche – und brauchte deutlich mehr Bewerbungen als früher, um letztlich bei der Digital-Agentur Y1 in Stuttgart zum 1. Mai 2020 eine neue Festanstellung zu finden.
„Viele Firmen waren in Kurzarbeit, andere Arbeitgeber hatten Bedenken, wie das Onboarding in Corona-Zeiten im Homeoffice funktionieren sollte“, erinnert sich Ronak Chauhan. Bei seinem jetzigen Arbeitgeber Y1 liefen Bewerbung und Probearbeiten komplett virtuell. „In einer Digital-Agentur war das zum Glück gar kein Problem“, sagt der Entwickler.
Remote zum neuen Job – dieser Trend hat sich durch die Pandemie in Deutschland durchgesetzt, beobachtet Emine Yilmaz, Vice President bei Robert Half. Einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters zufolge haben 95 Prozent der Unternehmen für Einstellungsgespräche und Einarbeitung seit Beginn der Covid-19-Pandemie Tools wie Zoom, Skype oder Microsoft Teams eingesetzt. „Schätzungsweise 25 bis 30 Prozent der Bewerbungsprozesse laufen komplett remote ab“, sagt Yilmaz.
Persönlicher Eindruck zählt
Auf ein persönliches Kennenlernen der Bewerber möchten viele Personalverantwortliche aber auch in Coronazeiten nicht verzichten. So beispielsweise Katja Fiedler, Personaldisponentin bei der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) in Hamburg. „Ich bevorzuge nach wie vor das klassische persönliche Gespräch, auch wenn es zurzeit von Abstands- und Hygienevorgaben geprägt ist.
„Augenkontakt, Körpersprache oder der kurze Smalltalk vor dem Gespräch bei einem gemeinsamen Kaffee liefern entscheidende Eindrücke“, fasst Fiedler zusammen.
So war es auch bei Cathrin Cors, die Mitte Mai als Online-Marketing-Managerin bei der HEK eingestiegen ist. Nach ersten Kontakten per Videokonferenz fanden Bewerbungsgespräch und Einarbeitung persönlich in den Räumen der HEK im Hamburger Stadtteil Wandsbek statt. Immer mit Abstand, Hygienemaßnahmen und natürlich ohne Händeschütteln.
Cathrin Cors war zu Beginn der Corona-Pandemie arbeitslos geworden. „Kein günstiger Zeitpunkt für einen Jobwechsel“, sagt die 28-Jährige. Entsprechend groß war die Unsicherheit, „ob ich schnell wieder eine passende Anstellung finden würde“. Ihre Sorge war unbegründet: Nur wenige Wochen später unterschrieb die junge Online-Marketing-Managerin ihren Arbeitsvertrag bei der HEK. „Wir sitzen zum Glück zu dritt in einem großen Büro – so lief die Einarbeitung fast normal ab“, erzählt Cors.
Kein klassischer Start
Große Büroräume und Tischinseln, die nur mit der Hälfte der Team-Mitglieder besetzt sind, haben auch bei Maximilian Knops eine Einarbeitung im Unternehmen möglich gemacht. Der 28-Jährige hatte am 1. Juli seinen ersten Arbeitstag als Sachbearbeiter in der Dräger Academy in Krefeld. Die Academy des Medizin- und Sicherheitstechnik-Unternehmens Dräger bietet Weiterbildungen und individuelle Trainingsprogramme beispielsweise für Mitarbeiter von Krankenhäusern, der Feuerwehr, Industrie und des öffentlichen Dienstes an für die Anwendung und Instandhaltung von Produkten wie Beatmungs- und Atemschutzgeräten, Schutzanzügen oder Gasdruckanlagen.
Wie üblich verlief der Start des Newcomers trotzdem nicht: „Viele meiner neuen Kollegen sitzen noch im Homeoffice – und ich lerne sie erst nach und nach persönlich kennen“, sagt Knops.
Das klassische „mal eben über die Schulter gucken und gemeinsam am Rechner nebeneinandersitzen, fällt weg“. Stattdessen zeigen seine Kolleginnen ihm über Skype, wie alles funktioniert, „obwohl wir nur wenige Meter auseinander im selben Raum sitzen“. Für Knops kein Manko. Er hat zuvor in einem Autohaus gearbeitet und ist froh, während der Krise zum Medizin- und Sicherheitstechnik-Unternehmen Dräger wechseln zu können. „Wir sind wirklich systemrelevant“, sagt der 28-Jährige nicht ohne Stolz.
Welche Tücken die Einarbeitung in der Pandemie birgt, bekam der neue Mitarbeiter bereits nach drei Wochen im neuen Job mit: Da seine Mutter an Covid-19 erkrankte, die er kurz zuvor besucht hatte, musste Maximilian Knops für zwei Wochen in häusliche Quarantäne. „Glücklicherweise war das Firmenlaptop bereits eingerichtet und ich mit den wichtigsten Programmen vertraut. So konnte ich zu Hause weiterarbeiten.“
Virtuelles Miteinander von der Einarbeitung bis zum Lunch
Bei Carolin Czarnecki, die kurz vor dem Lockdown ins Berufsleben gestartet ist, musste die Einarbeitung zwangsläufig virtuell ablaufen. Feste Zeiten für bestimmte Aufgaben, regelmäßige Videokonferenzen und Telefonate mit den Kollegen haben dabei ihrem Arbeitstag im Homeoffice eine Struktur gegeben.
Seltsam war es schon für die frischgebackene Absolventin, nach nur einer Woche im Büro an den Schreibtisch in ihrer Studentenbude zurückzukehren, an dem sie wenige Wochen zuvor noch ihre Masterarbeit beendet hatte.
Der persönliche Kontakt mit den Kollegen blieb da nicht nur für die junge Content-Managerin erst einmal auf der Strecke. Kein lockerer Plausch in der Teeküche oder auf dem Flur, kein spontanes Feierabend-Bier, keine After-Work-Partys. Y1-Entwickler Ronak Chauhan aus Stuttgart berichtet: „Meine Kollegen haben mich stattdessen immer mal zu einer virtuellen Kaffeepause eingeladen.“
Bei Carolin Czarnecki wurde sogar das gemeinsame Mittagessen digital zelebriert. „Um Punkt 13 Uhr saßen wir zu viert oder fünft mit unserem Lunch vor dem Laptop – und haben gemeinsam gegessen, jeder in seiner Wohnung“, erzählt sie lachend.
Und ergänzt: „Die Situation war für alle neu, das hat uns als Team extrem zusammengeschweißt.“ Bei den täglichen virtuellen Arbeitstreffen gab es zudem viele Einblicke ins Privatleben der Kollegen: „Da hat mal ein Hund im Hintergrund gebellt oder eine Katze ist durchs Bild gelaufen“, sagt Czarnecki.
So langsam ist in vielen Unternehmen etwas Normalität eingekehrt. Nach und nach trauen sich viele Arbeitnehmer wieder ins Unternehmen – zumindest tageweise. Das ist die Chance für die Jobwechsler Ronak Chauhan, Cathrin Cors und Maximilian Knops, alle neuen Kollegen nun endlich persönlich kennenzulernen. Und für Berufseinsteigerin Carolin Czarnecki beginnt endlich ein klassischer Büroalltag. „Das kann ich nach den Monaten im Homeoffice jetzt so richtig genießen.“
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